Rezension
Benjamin Clementine
I Tell A Fly
Highlights: Phantom Of Aleppoville // Better Sorry Than Asafe // God Save The Jungle // Quintessence
Genre: Avantgarde // Jazz // Chanson // Barock-Pop
Sounds Like: Nina Simone // Antony & The Johnsons // Kate Bush // Tom Waits
VÖ: 29.09.2017
Die Zahl der Menschen, die aktuell vor Krieg, Verfolgung, Unterdrückung oder Hunger flüchten, liegt weltweit ungefähr bei 66 Millionen. Die Bekämpfung von Fluchtursachen und der Diskurs über den richtigen Umgang mit diesen Menschen prägt die aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussion wie kaum ein anderes Thema. Auch in der Musik wird dieses Thema vermehrt aufgegriffen. Und wer könnte darüber glaubhafter und überzeugender singen als jemand, der selbst viele Jahre heimat- und obdachlos war, sich immer noch als Fremder in der Welt fühlt und in seinem amerikanischen Visum sogar als „Alien with extraordinary abilities“ bezeichnet wird? Die Rede ist vom britischen Ausnahmekünstler Benjamin Clementine, der 2015 das vielbeachtete und äußerst erfolgreiche Album „At Least For Now“ veröffentlichte, und nun mit „I Tell A Fly“ sein zweites Album releast.
Während sich Clementine auf seinem Debüt vor allem mit sich selbst und seinem Innenleben beschäftigte, rücken nun Motive wie Flucht, Vertreibung und Heimatlosigkeit als zentrale Themen des Albums in den Fokus. Songs wie „God Save The Jungle“, in Anlehnung an das als Dschungel bezeichnete Flüchtlingslager in Calais, „Phantom of Aleppoville“ oder „By The Ports Of Europe“ lassen bereits im Songtitel diese zentralen Aspekte erkennen. Der thematischen Komplexität des Albums folgt eine ebenso musikalische Komplexität, die dem Hörer einiges abverlangt. Klassische Songstrukturen existieren so gut wie keine, stattdessen finden sich opulente Arrangements, vielfältige Instrumentierung, Synthies und sogar Chöre wieder. Das eindrucksvollste Beispiel hierfür ist „Phantom Of Aleppoville“, ein Song über die traumatischen Erlebnisse von Kindern aus Kriegsgebieten und Clementines persönlich erfahrener Traumatisierung durch jahrelanges Mobbing und Ausgrenzung.
Trotz des eigentlichen Schwermuts dieser Themen gelingt es Clementine jedoch, auch Hoffnung und Zuversicht in seine überwiegend poetischen und metaphorischen Lyrics zu bringen. Teilweise lässt er den Hörer sogar mit einem kleinen Schmunzeln zurück, wie beispielsweise im Song „Paris Cor Blimey“, wo er die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen mit einem Stift vergleicht, wenn er Zeilen singt wie „Paris' friend had a little pen / A little pen Paris' friend had / If Paris' friend had a little pen / Then where is the pen Paris' friend had?“. So bringt „I Tell A Fly“ am Ende tatsächlich ein wenig Licht in all die Trauer und den Kummer dieser Themen, und lässt uns zurück mit ein bisschen Hoffnung, dass am Ende doch irgendwie alles gut werden könnte.
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