Rezension

Arcade Fire

The Suburbs


Highlights: Rococo // Half Light I // Suburban War // Sprawl II (Mountains Beyond Mountains)
Genre: Indie-Pop
Sounds Like: Get Well Soon // The Flaming Lips // Broken Social Scene // The Decemberists // Eagle Seagull // David Bowie

VÖ: 30.07.2010

Wehret den Anfängen. Daran hatten sich Arcade Fire insbesondere auf ihrem letzten Album "Neon Bible" nicht unbedingt gehalten. Dieses nämlich hatte mit der Religion ein allumfassendes und zugleich auch heikles Thema im Zentrum, meisterte diese schwierige Herausforderung aber dennoch mit Bravour. Nicht zuletzt vielleicht deshalb, weil das Album standesgemäß in einer eigens für diesen Zweck gekauften Kirche eingespielt wurde. Dem entgegengesetzt weist "The Suburbs" – so der Titel des neuesten Albums der Kanadier, für das es übrigens nicht weniger als acht (!) verschiedene Cover gibt – einen deutlich kleineren Horizont auf. Nachdem Règine Chassagne schon auf "Funeral" ihr Heimatland Haiti besang, ist nun Ehemann und Bandleader-Kollege Win Butler an der Reihe, der in einem künstlichen Vorort von Houston, Texas aufwuchs, diesem jedoch stets entfliehen wollte und seine so gewonnen Eindrücke und Erfahrungen nun musikalisch reflektiert. "Grab your mother's keys, we're leaving." Aber ganz aus der Erinnerung streichen klappt doch nicht: "Sometimes, I can't believe it, I'm moving past the feeling".

Die musikalische Begleitung hält sich eher neutral. Der beschwingte Indie-Pop zwischen The Shins und The Coral ist weder besonders euphorisch noch schwermütig, verlässt sich lediglich auf Drums, Akustikgitarre und Keyboard, und hat demnach mit dem bisher bekannten Arcade-Fire-Sound, der stets pompös, aufwändig instrumentiert und emotional daherkam, nicht viel zu tun. So ergeht es im Übrigen bei weitem nicht nur dem Titeltrack. Eine der wenigen Ausnahmen ist "Rococo", dessen monumentales Largo das ganze Pathos der besungenen Epoche intoniert. "Ready to Start" hingegen klingt eher nach Interpols "Say Hello To The Angels" denn bisherigen eigenen Werken. "Empty Room" orientiert sich mit hektischem Violinen-Intro, das danach in den Hintergrund tritt, wieder zurück zu alten Stärken und ist in seiner Geradlinigkeit am ehesten mit "(Antichrist Television Blues)" von "Neon Bible" zu vergleichen. Bereits jetzt wird klar: Arcade Fire scheuen sich nicht, zu neuen Ufern aufzubrechen, Experimente zu wagen, und Ihre Markenzeichen einmal hinter sich zu lassen.

So beginnt das wunderbare "Suburban War" beispielsweise mit 60s-Gitarren im Stile der Byrds und Mamas & Papas, baut den Spannungsbogen sukzessive auf, findet die Arcade-Fire-Charakteristika aber schlussendlich wieder und entlädt sich in einem bombastischen Finale. Nicht so "Month of May", ein mäßiger, weil relativ eintöniger Schrammelpunk-Verschnitt. Gleich zwei Songs auf der Platte sind in jeweils zwei Einzelteile separiert, "Half Light" ist einer davon. Dessen erster Teil ist ein schöner Kammerpopsong mit Règine Chassagne am Mikro, Teil 2 hingegen mixt mit starkem 80er-Touch die Melodie aus David Bowies "Heroes" mit einem Grundgerüst aus Synthibass-Tremolos. "Sprawl" – der andere zweigeteilte Song auf "The Suburbs" – beginnt ruhig und melancholisch, dabei stark an Get Well Soon erinnernd, während "Sprawl II (Mountains Beyond Mountains)" – abgesehen von einem noch darauf folgenden Outro übrigens auch der Abschluss des Albums – mit Disco-Beats meets Règine Chassagnes gespenstischer Stimme ein weiteres interessantes Novum in der Bandlaufbahn bereithält.

"The Suburbs" ist mit Sicherheit das bisher vielseitigste Album in der Diskographie von Arcade Fire. Zahlreiche Stilrichtungen werden angeschnitten und doch so miteinander harmonisiert, dass am Ende einmal mehr ein überzeugendes Indie-Pop-Album auf der Haben-Seite steht. Stolze 16 Songs befinden sich auf der Scheibe, die abgesehen von 2-3 Fillern auf B-Seiten-Level durchweg gefallen können. Dass es für den Club der vollen Punktzahl nicht ganz reicht, liegt daran, dass Übersongs a la "Rebellion", "Neighborhood #1" und "No Cars Go" dieses Mal leider nicht mit an Bord sind. Doch so stark wie "The Suburbs" seit dem ersten Hördurchgang gewachsen ist, ist mit Sicherheit noch Potential in der subjektiven Wahrnehmung einzelner Songs versteckt.

Johannes Neuhauser

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