Rezension

Aphex Twin

Syro


Highlights: XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix] // CIRCLONT6A [141.98][syrobonkus mix] // aisatsana
Genre: Ambient // Electronica // Glitch
Sounds Like: Boards Of Canada // The Future Sound Of London // Air

VÖ: 19.09.2014

Wow. Zugang zu einem neuen Aphex-Twin-Album finden: Wenn das keine Lebensaufgabe ist. In jeder Sekunde der 2014-Platte „Syro“ stecken dermaßen viele Ideen, dass das Anhören zu einer Reise durch weit mehr als ein Universum wird. Komplex, komplexer, Richard D. James. Mastermind James reizt das, was aktuell elektronisch möglich ist, bis an die Grenzen aus. Zugleich spricht der britische Produzent von seinem „poppigsten Album“. Wie ist das möglich?

„Syro“ kombiniert die Klarheit seiner frühen Ambient-Hymnen aus den 90er Jahren mit den produktionstechnischen Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten. Mysteriös und unübersichtlich wirkt das beim ersten Hören, schließlich aber anziehend, regelrecht absorbierend. „XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix]“ zeigt dies in einer epischen Breite von über zehn Minuten. Vor einer tiefen Ambient-Fläche, die gen unendlich steuert, webt James unterschiedliche Patterns. Fernöstliche Klangschalen-Zitate, punktuell Gesangfragmente – stark verfremdet –, 80er Synthie-Modulationen; zugleich ein kaum merklicher Beat, der das ganze Stück voranbringt.

Collage ist bei James Programm. Besser gesagt, die Collage der Collage der Collage. Die Zahl der Meta-Ebenen ist für den Produzenten nach oben hin offen. Musikstile werden zitiert, dabei so hart verfremdet, dass von ihnen nichts als eine Ahnung übrig bleibt. Das ist das, was den Sound auf Syro von seinem Frühwerk unterscheidet. Überall finden sich Versatzstücke, Anleihen. „CIRCLONT6A [141.98][syrobonkus mix]“ speist sich irgendwie aus einem 80er-Sound ähnlich Daft Punks (ein Hoch auf die 8-Bit-Ära!), „produk 29 [101]“ beginnt jazzig, loungig, entwickelt sich dann in Richtung einer düsteren Trance-Nummer. Überhaupt: Düster und existenzialistisch ist auf „Syro“ so ziemlich alles. „180 db_ [130]“ sind verquere drei Minuten gleichbleibender Dissonanzen, die mit einem Jungle-Beat garniert wurden – allerdings in einem 4/4-Takt, was reichlich merkwürdig anmutet.

Dass Syro trotzdem das poppigste Album ist, ist der Klasse von Richard James geschuldet. Er schafft es, einen Bogen zu spannen zwischen Bekanntem, also etwas, das den Hörer mitnimmt, und seinem experimentellen Pioniergeist. Klug ist dabei auch der Aufbau des Albums. Eingängigere Passagen, die der Platte ein Herz geben, tauchen an Schlüsselstellen auf, oft wenn „Syro“ vollends die Orientierung zu verlieren droht: in der Mitte von „XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix]“, in „CIRCLONT14 [152.97][shrymoming mix]“ und im bemerkenswerten Abschlussstück „aisatsana“ (Piano + Vogelzwitschern!). Damit ist den Songs mit den unaussprechlichen Namen ein langes Leben bestimmt. „syro u473t8+e [141.98][piezoluminescence mix]“ & Co. werden auch in Jahren und Jahrzehnten noch eine Quelle der Inspiration für andere Musiker sein.

Mischa Karth

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minipops 67 [120.2][source field mix]

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