Rezension

Alkaline Trio

Agony And Irony


Highlights: Calling All Skeletons // I Found A Way // In Ruin
Genre: Powerpop
Sounds Like: The Lawrence Arms // Heavens // Jimmy Eat World // Jawbreaker // Samiam

VÖ: 04.07.2008

Das Adjektiv „hell“ erhält nur Bedeutung durch die Tatsache, dass ein „dunkel“ existiert. Eine derartige Bedeutungsbeziehung, also die absolute Abhängigkeit der Bedeutung eines Wortes von seinem offensichtlichen Gegenstück nennt sich Dichotomie. Soweit, so klugscheißerisch. Mit eben so einer dichotomischen Beziehung beschäftigte sich nun schon schon seit je her das Alkaline Trio und seine Anhänger. Kamen dabei dem Punkrock und den ohrwurmigen Hooklines die Rolle des hellen und euphorischen, unbeschwerten und fröhlichem Ying zu, rissen düstere wie brutale Songtexte und Inhalte, das bandkollektive Faible für Horrorfilme sowie das Image einer zwar vornehmen und smarten, dennoch hinterlistigen Gruftpunkband das Yang gleichzeitig in eine morbide Vorhölle der Unberrechenbarkeit. Und jetzt, nach fünf Alben, stellen sich Matt Skiba, Dan Adriano und Derek Grant selbst die Frage: Funktioniert dieses System auch noch, wenn das Weiß von Ying behäbig in das Schwarz des Yang hinüberfließt?

Um es deutlicher zu sagen: „Good Mourning“ war eine Weggabelung. Den Poppunk perfektioniert mit zwölf Hits, mehr ging nicht. Die Hitmaschine aus Chicago modifizierte den Produktionsmodus. Ergebnis war das umstrittene „Crimson“. Gedrosselte und weiter in die Tiefe gehendere Songs wie „Sadie“ oder „Burn“ wurden von einigen Fans aber als unerwünschtes Reifezeugnis abgetan. „Agony & Irony“ wirft den Blick nicht etwa aus einem anderen Winkel auf die divergierende Straße, sondern übernimmt die Staffel seines blutroten Vorgängers. Die sporadisch-vielschichtigeren Momente avancieren zur neuen Marschrichtung. An denen hat die Produktion Josh Abrahams (u.a. 30 Seconds To Mars, Limp Bizkit, Velvet Revolver) einen wesentlichen Anteil. Der Plattendeal mit Epic macht's möglich: Da klingelt zur Zeile „I'm running out of time“ punktgenau ein Wecker, Synthies veredeln stellenweise das Soundbild und der massive Einsatz von Back-Up-Gitarren sorgt für ein Alkaline Trio, das auf Platte noch nie voller klang. Das mag manchmal zu viel des Guten sein, dafür knallt Grants Snare jetzt härter denn je und Adrianos Bass röhrt wie ein frisch geölter Dragster. Ist das noch Punk?

Nein, das ist mit gutem Gewissen Pop! Wenn diese Platte also funktioniert, handelt es sich bei der oben beschriebenen Wechselbeziehung dann doch nicht um eine Dichotomie? Funktioniert sie denn? Die Antwort ist: Ja, irgendwie schon. Die schmissigen Refrains, der sich zwischen Matt und Dan abwechselnde Leadgesang, die simplen Songstrukturen, die Hits – sie sind allesamt noch da. Aber meist deutlich gedrosselt. Deutlich wird, dass Matt Skibas Huldigung an Joy Division mit seiner Spielwiese Heavens nun auch endgültig seine Hauptband unterwandert hat. So wird der anfangs noch am typischsten nach älteren Tagen klingende Hit der Platte, „I Found A Way“ im Refrain des Songs so sehr von Synthies gespeist, dass man sich plötzlich in den 80ern wägt. Und das ist okay, diese Band will verständlich machen,dass es in diese Richtung weiter gehen wird.

Sich durch beklemmende Düsternis drückende Songs wie das kurz vor Schluss von Adriano grandios intonierte „In Ruin“ zeigen dann wiederum, zu was für großartigem Material die morbide Ex-Punk-Band auch mit neuen Mitteln fähig ist. Ihr umwerfendes Songwriting bleibt die zu ergreifende rote Leine, die der Grund dafür sein wird, dass sich deutlich weniger Fans abseilen werden als bei ähnlich mutigen Schritten vergleichbarer Bands. Denn wer wechselt schon zu seinem Major, verlässt im selben Moment sein Erfolgsrezept und bleibt trotzdem relevant? Man glaubt es kaum: Es sah lediglich so aus, als hätten sie sich aus ihrer Vorhölle gebuddelt.

Gordon Barnard

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