Konzertbericht

Visions Spring Break


Hamburg, Altona. All zu nah war da jetzt nichts für mich und so musste ich mich bereits 18:00 Uhr in den Bus begeben um dann auch ja keine einzige Sekunde der wunderbaren Visions Spring Break-Clubtour zu verpassen. Einlass: 19:00, Beginn: 20:00. Kein Thema also, noch zur nächsten Dönerbude zu rennen, und sich drei Bier zu besorgen. Eins in den Rachen und zwei undercover in die Jeans. Wer kann sich schon Clubpreise leisten? Nun gut, für sehr faire 20€ war man also drin und sah langsam zu, wie sich die Halle, nämlich die tolle "Fabrik", füllte.

Auf die Sekunde genau begannen die britischen Duels, die ich ganz ehrlich absolut nicht auf dem Radar hatte. Ich hab irgendwelche Bloc-Park-Kaiser namens Ferdinand erwartet und was sich mir bot, spottete jedem Vorurteil. Da war eine Band, die es vermochte, sehr düster und wavig zu rocken. Komplett in schwarz gekleidet bot die Band viel für beide Ohren und die Keyboarderin uns Jungs sogar was für das Auge. Für die Mädels waren Sänger und Gitarrist zuständig, die wie tollwütig Gliedmaßen, Instrumente und Mikrophone durch die Gegend wirbelten, dabei aber nicht den Blick auf das Wesentliche verloren, und zwar ihre ziemlich toughen Songs. Da gilt es für mich persönlich auf jeden Fall nochmal reinzuhören.

Wie bereits erwähnt, konnte die erste Band uns Jungs sehr wohl etwas für die Äuglein bieten, doch nicht minder gelang das der zweiten Kombo, nämlich Monochrome, die die schwierige, wenn auch ehrenvolle Aufgabe hatten, kurzfristig für die Kooks einzuspringen, welche wegen eines Videodrehs absagen mussten. Darum gab es wohl die vielen Ticketzurückgaben und nicht weniger Missmut, weswegen Monochrome, eine Kapelle aus Stuttgart und Basel, wahrscheinlich ganz besonders viel gegeben haben, allen voran die bildhübsche Sängerin, mit ihrem Kollegen am Mikro, welcher, genau wie sie, kein Instrument bediente, wäre auch gar nicht gegangen ob soviel Show, Tanz, Sprung, Gehüpf und Akrobatik. Wunderhübsch anzuschauen war die Frauenquote der Band, in der Tat so hübsch, dass die recht interessante, größtenteils aber doch eher live nervige Musik der zappelnd-fröhlichen Musikanten in den Hintergrund rückte. War vielleicht gar nicht so schlimm, jedenfalls hat jeder zweite Bub sein Handy rausgeholt, den Schnappschuss wollte sich kaum jemand entgehen lassen. Und tanzen kann die Frau, eine Wonne. Da stört auch das fehlende Stimmchen kaum. Im Endeffekt war ihr Auftritt dem der Kooks allerdings doch vorzuziehen, da die Kooks nicht in das allgemein sehr erwachsene Line-Up gepasst hätten, doch dazu später mehr.

Weiter ging es mit einem doch noch gekauften Bier, da die zwei Flaschen bereits alle waren. Und The Zutons, welche mittlerweile hinzureichend als "Die Band mit dem Sax, oder was jetzt?" bekannt sein dürfte. Ja richtig, die Kifferkapelle, die in Wirklichkeit gar keine ist und, nicht nur was das betrifft, so einige Parallelen zu den Glaubensgenossen The Coral hat. Es sei erwähnt, dass auch die charmanten Liverpudlians das Wichtigste dabei hatten: Eine Frau...ähhh...eine menge tolle Laune und den Rock'n Roll, der bisher ein wenig zu kurz kam. Verdammt, es klappt nicht, ich kann nicht anders: Ich bin verliebt, Abi Harding hat mit ihrem Sexophon mein Herz erobert. Eine bildhübsche und zierliche Frau, die mit ihrer wunderbaren Mähne genauso zu verzaubern wusste, wie mit dem unwiderstehlichen Hüftschwung. Allein das war die 20€ wert. Aber auch David McCabe konnte durch erstaunliche Showmasterqualitäten glänzen und so übertünchte die Band ihre teilweise mäßigen Songs mit einer wunderbaren Darbietung und einem bombastischen Instrumentalsolo samt Melodika. Das hat Spaß gemacht und verdient ganz klar meine unbescheidene Empfehlung.

Doch das war alles noch nichts zu dem, was bereit war zu folgen. Archive. Die Band, die mir eines der unglaublichsten Konzerterlebnisse meines Lebens zu schenken vermochte. Eine Band, wie die Hauskapelle des Leibhaftigen. Ob sie sich nach der endlosen Namensliste derer benannt haben, die er bereits zu sich geholt hat? Das wissen nur sie selbst. Aber ich werde wohl genau da hinkommen, denn zu meiner Schande muss ich gestehen, bis gestern nichts von Archive gekannt zu haben und für mich waren sie lediglich irgendeine Sample-Hop-Band. Ein schrecklicher Irrtum. Die Band, für die dieser Titel wohl weit unterbewertend ist, schaffte es mit dem ersten Ton, mich in ihre Welt zu ziehen. Ein paar Klaviertöne, dazu ein elektronischer winziger Hauch aus der Hölle und ein Gitarrenakkord. Mehr bedurfte es nicht, um mich von der ersten Sekunde an umzuhauen. Mehr kann ich auch gar nicht sagen. Die komplett in schwarz gehüllte Band, die auf mich wie ein neunköpfiger Zerberus wirkte, deckte alle Stile von manischem Noiserock in der Art von The Cooper Temple Clause bis zu sphärischem Progressive á la Pink Floyd ab. Selbst die Sängerin, die dreimal auf die Bühne trat, erinnerte stark an den großen Gig im Himmel. Der Zweitsänger, welcher, wie ich posthum rausfand, neu hinzugestoßen ist, dürfte wohl die Herzen sämtlicher Frauen im Saal erobert haben, wenn nicht sofort, dann spätestens zum Schluss, bei dieser fantastischen Liebesballade, die er gekonnt auf Deutsch ansagte. "Von unsere noie Elbum Lights, Lichter." Brite müsste man sein, verdammt. Der Kerl wirkt wie eine Mischung aus Jarvis Cocker, Morrissey, Kurt Cobain und Narziss. Und eine Stimme, ich schwebte über dem Boden, ich bin mir ganz sicher. Nicht minder fantastisch, wenn Archive ausbrachen und Katharsis neu buchstabierten. Das war wirklich groß, ganz groß. Ich hab mindestens eine Dreiviertelstunde vergessen zu atmen.

Liebe Visions, das habt ihr großartig gemacht. Mir eine neue vielleicht-Lieblingsband geschenkt, präsentiert, wie toll Frauen in der Musik sein können und ein Line-Up erstellt, dass auf dem Papier vielleicht für den einen oder anderen etwas fad war, doch dann im Endeffekt alles schlug, was man sich wünschen konnte. Riesiges Kompliment.

Konstantin Kasakov