Konzertbericht

Gogol Bordello


Eugene Hütz, Frontmann von Gogol Bordello, ist der Meinung, dass man sich während einer Show so schnell wie nötig so vieler Klamotten wie möglich entledigen sollte, um keine schweißgetränkte Kleidung mit sich herumschleppen zu müssen. Ein wichtiges Problem, denn „if you do not break any sweat on your show, well then what the fuck are you doing there?!“, so Hütz.

Somit scheinen Gogol Bordello alles richtig gemacht zu haben – an Schweißausbrüchen mangelt es auf der Bühne des Karlsruher Tollhauses jedenfalls nicht. Mit halbstündiger Verspätung steht die Band plötzlich auf der Bühne, unübersehbar und unüberhörbar. Das Bild, das sich dem Publikum bietet, ist, in bekannter Gogol-Bordello-Manier, bunt, kitschig, rumpelnd und ein bisschen wie eine eigenartige Neuauflage einer altmodischen Zirkusfreakshow. Ohne große Worte wird dann auch gleich mit „Ultimate“, dem Eingangssong ihres 2007er Albums „Super Taranta!“, das Konzert eröffnet, und zwar von Band und Publikum, das ab dem ersten Ton gleich lautstark mitgrölt. Hier braucht keiner Aufwärmübungen, um sich mit vollem Körpereinsatz den Gypsypunkklängen hinzugeben oder beherzt in den sogleich eröffneten Pogostrudel zu werfen.

Gogol Bordello sind eingespielt, untereinander, auf ihren Instrumenten sowieso. Sergejs Geige fiedelt, was der Bogen aushält und Hütz‘ Gitarre muss ständig gewechselt werden, weil sich durch das ungestüme Spiel oft eine Saite löst oder die Gitarre völlig verstimmt ist. Der Sound ist gut und die Geige geht unter den übrigen Klängen nicht unter, was bei einer Band wie dieser sehr schade wäre. Wenn man sich auf der Bühne etwas genauer umsieht, fällt einem ein neues Gesicht auf, es ist Pedro Erazo, auf dieser Tour das erste Mal dabei auf europäischer Bühne. Auf sein Mikro einrappend springt dieser plötzlich in den Vordergrun und bringt die kochende Menge zum Überlaufen; für kurze Momente stellt er sogar den Chef, Eugene Hütz, in den Schatten. Er hat Mut, Energie und eine gute Portion musikalische Aggression, klettert wie ein Äffchen auf eine vom Publikum getragene Trommel und wirft sich schließlich in die Menge. Den sowieso schon bemerkenswerten Stilmix der Band erweitert Erazo noch durch Dub- und Reggae-Einflüsse.

Aber nicht nur musikalisch ist diese Band ein Schmelztiegel: Das Publikum kommt wie ein unebenes Patchwork daher, welches sich aus verschiedenen Altersklassen und Nationalitäten ergibt. Hier pogt das 16-jährige Emo-Punk-Mädchen neben dem 60-jährigen Rocker, angefeuert von einer slawischen Bauchtänzerin, die mit einem jungen Mann tanzt, der verdächtig nach Informatikstudent aussieht. Das Tollhaus ist an diesem Abend jedenfalls ausverkauft, was nicht unangenehm auffällt, denn Platz zum Tanzen gibt es allemal und starkes Gedränge herrscht höchstens in den ersten Reihen.

Es werden Songs des neuen Albums „Trans-Continental Hustle“ gespielt, aber auch alte Stücke, die einem mittlerweile wie gute, alte Bekannte vorkommen, werden dargeboten. So erklingt „Start Wearing Purple“ in einer interessanten Live-Version, bei der Hütz sich immer wieder ins Publikum beugt, um bei den Zeilen „All your sanity and wits they will all vanish I promise...“ einem beliebigen Mädchen über die Wange zu streichen.

Schade an diesem Abend ist jedoch, dass Gogol Bordello ihr reguläres Set nach etwa einer Stunde schon beendet haben. Zwischendurch werden wenige Pausen gemacht, ein Song jagt den nächsten. Nach tosendem Beifall kommt die Band für weitere vier Stücke auf die Bühne.

Trotzdem: Etwa 80 Minuten hinterlassen das Gefühl, dass da eigentlich noch was kommen müsste. Desweiteren wird man das Gefühl nicht los, dass dieser Auftritt für eine Band, die unter anderem für Anarchie und Chaos steht, und sei es nur in multikulturellem Sinne, zu routiniert und heruntergeleiert wirkt. Möglicherweise ist das aber eine logische Konsequenz daraus, dass Gogol Bordello unermüdlich touren und bis zu fünf Konzerte in fünf verschiedenen Städten pro Woche geben.

Einen Abbruch tut das dem Konzert aber dennoch nicht. Spätestens nach dem sechsten Song weiß man nicht mehr genau, ob man auf einem Punkkonzert ist oder auf einer russischen Hochzeit, auf der man die leeren Vodkagläser auf den Boden werfen will. Genau die Tatsache, dass man das gar nicht beantworten will oder kann, machen Gogol Bordello aus. Ein Abend mit ihnen wirkt ehrlich und inspirierend. Sie schaffen eine verdammt gute Stimmung und die Kommunikation zwischen Band und Publikum fließt. Daher lässt sich ein Resümee am Ende des Abends am besten mit Hütz‘ eigenen Worten ziehen: Super Maximum Respect!

Photo by Danny Clinch.

Silvia Silko