Interview

Xixa


"Make Mexico Rage Again!" – das kommt zwar vom letzten Prophets-Of-Rage-Konzert, das Xixa in Mexiko-Stadt miterlebt haben, die Musiker von Xixa supporten aber die revolutionäre Stimmung, wie sie sie dort erlebt haben, ebenso. Wie es sich anfühlt, mit der gruseligen USA-Politik im Nacken an der mexikanischen Grenze zu leben, welche schaurigen Volksmärchen ihnen als Kinder von den Erwachsenen erzählt wurden und was es mit dem Gesamtkunstwerk Xixa auf sich hat, erfahrt ihr im Interview.

Gabriel Sullivan und Brian Lopez, die beiden Leitfiguren bei der Band Xixa, sitzen im Backstagebereich des Forums in Bielefeld und trinken Rotwein. Sie sind fröhliche Typen, lachen gerne, erzählen begeistert und teilen ihren Wein großzügig. Schon die erste Frage versetzt sie ins fröhliche Geplauder. Die Rapcrew Neonschwarz hat im letzten Interview die Frage: "Schlager oder Zeckenrap? Warum?" für die nächste Band gestellt. Die Antwort fällt ganz klar aus: "Schlager! Oh yeah! Es gibt sogar einen deutschen Schlagersong über Tucson! Mit alten Cowboys und ganz viel Nebel. Es ist echt schlecht gemacht." Xixa amüsieren sich über den Versuch der Band Truck Stop, sich als Cowboys zu verkleiden und sich in den wilden Westen hinein zu versetzen.

Dabei versuchen sie als Band auch etwas Altes, Mystisches wieder aufleben zu lassen. Den alten Cumbia- und Xixa-Sound nämlich, im Stile traditioneller Mariachi. Xixa haben sich ein Konzept rund um die Band aufgebaut, das absolut stimmig ist. Schwarz gekleidet, mit silbernen Beschlägen und auch gerne mal einem dunklen Hut tief ins Gesicht gezogen treten sie auf. Sie ziehen von Bühne zu Bühne und liefern ihre energetisch-düsteren Shows ab, ziehen das Publikum, das sich in Trance tanzt, in ihren Bann. Der befreundete Künstler Daniel Martin Diaz hat das gesamte Artwork, die Visuals, die Videos und den Bühnenaufbau gestaltet und alles in ein stimmiges Konzept gebracht. "Er half uns dort nachzubohren, wo die menschliche Seele und die Wissenschaft zusammen kommen", erzählt Gabriel. "Die Band, die Performance, die Videos und die Musik sind nun ein zusammenhängendes Kunstwerk geworden."

Die Band Xixa entstand als eine Xixa-Coverband, entwickelte sich aber dann weiter. Brian und Gabriel fingen an, zusammen Songs zu schreiben und "es kam dieser düstere, magische Sound dabei raus", erzählt Gabriel. Neben Brian Lopez und Gabriel Sullivan, beide an Vocals und Gitarre, sind außerdem Jason Urman (Keyboard), Geoff Hidalgo (Bass), Efren Cruz Chavez (Timbales & Percussion) und Wiston Watson (Schlagzeug) in der Band. Wenn man sich dieses Gesamtkunstwerk Xixa anschaut, kommt man nicht drum herum, an alte, mexikanische Volksmärchen- und mythen zu denken. Zum Beispiel an La Llorona, den Geist einer Frau, die um ihre verlorenen Kinder weint, die sie zuvor in einem Fluss ertränkt hat. Xixa sind mit solchen Gruselgeschichten groß geworden. "Ich bin am Santa-Cruz-Fluss aufgewachsen. Meine Eltern hatten natürlich Angst, dass ich in den Fluss gehe und mir was passiert, also erzählten sie mir, dass La Llorona da unten wäre. 'Du willst doch nicht La Llorona verärgern, denn dann kommt sie und holt dich!' Danach hatte ich riesige Angst. Das ist auf jeden Fall eine Geschichte, die in spanischen oder mexikanischen Haushalten über Generationen erzählt wird", erzählt Brian und muss dann doch über die Erinnerung den Kopf schütteln und lachen. Gabriel erzählt begeistert von weiteren Geschichten: "Mexikaner sind verdammt kreativ! Die Eltern denken sich: 'Ich werde den Kindern nicht die Wahrheit beibringen, sondern sie einfach zu Tode erschrecken, dann machen sie auch, was ich ihnen sage.' So wie die Geschichte von Chupacabra, ein hundeähnliches Wesen, das Ziegen auffrisst. Oder der Cucuy, der Kinder holen kommt, die sich nicht benehmen!" "Ja! Der Cucuy kommt und holt dich!", ruft Brian. "Du kannst nicht zu lange wach bleiben, du darfst nicht zu viel essen... jedes Mal kommt irgendein Wesen und holt dich! Und La Llorona war wirklich sehr, sehr gruselig!"

Was aktuell allerdings noch viel gruseliger ist, ist die Realität. Die Bandmitglieder sind an der mexikanischen Grenze aufgewachsen und bekommen gerade die politische Stimmung hautnah mit. "Wir hätten nicht gedacht, dass solch ein Idiot wie Trump tatsächlich Präsident werden kann. Wir hätten auch nicht gedacht, dass der Mauerbau tatsächlich ernst gemeint sein könnte. Aber wir trauen ihm alles zu. Das macht uns natürlich Angst. Ich bin auch direkt betroffen. Das Gesundheitssystem, das nun für mich weg bricht, oder auch die Förderung von Kunst! Es ist super gruselig, dass ein Mensch so viel negative Macht haben kann", erzählt Brian und ist zu Recht aufgebracht dabei. So pathetisch es klingt, aber mit ihrer Musik, mit dem Stilmix zwischen den Zeiten und Ländern, können Xixa eine Brücke schlagen und Menschen wieder vereinen. "Vielleicht geht es auch nicht mehr nur darum, Frieden zu schaffen, sondern erst einmal diese aufkommende Revolution zu sehen. Wir haben vor ein paar Tagen Rage Against The Machine, beziehungsweise die Prophets Of Rage, in Mexiko-City gesehen. Das war so mächtig! Es waren 80 000 Menschen da! Sie waren wütend und angepisst. Die Musik hat diese Gefühle gebündelt und alle haben sie raus gelassen. Auf der Videowand wurden die Worte: 'Make Mexico Rage Again!' eingeblendet, das war sehr mächtig. Vielleicht braucht es auch die Aggression, um die Revolution voran zu treiben."


Foto-Credit: Lukas Haese

In der original Xixa-Musik ging es auch um das Aufzeigen von Ungerechtigkeiten und Missständen. Auch Xixa bringen, wenn auch nicht gezielt, doch durch eigene Betroffenheit politische Botschaften in ihre Songs. So zum Beispiel in "Living On The Line", in dem sie den befreundeten Poeten Logan Philipps sprechen lassen, der sehr direkte Worte zur aktuellen politischen Lage zu sagen hat. Die Musiker von Xixa fühlen sich verbunden mit Mexiko und der Kultur und Sprache, sind aber selbst nicht Spanisch sprechend aufgewachsen. So können zum Beispiel Brians Großeltern alle Spanisch, seine Eltern aber nicht. Deren Eltern waren nach dem Umzug in die USA sehr darauf bedacht, dass die Kinder Englisch sprechen und so wurde die Sprache nicht weitergegeben. "Bei uns wurde bei allen Familienzusammenkünften immer Englisch gesprochen. Außer, wenn es Streit gab. Dann wurde auf einmal auf Spanisch geflucht und geschrien", erzählt Brian lachend. Er selbst hat in Barcelona studiert, um Spanisch zu lernen und war sehr glücklich darüber, schließlich mit seiner Großmutter Mona dann doch noch am Ende ihres Lebens auf Spanisch sprechen zu können.

Brian und Gabriel wurden beide von ihren Familien dahingehend unterstützt, dass sie immer Musik machen konnten. "Ich war der älteste Sohn in der Familie und ich sollte eigentlich der erste in der Familie sein, der studieren geht. Ich habe es versucht. Nach zwei Wochen rief ein Freund mich an und sagte, dass er einen Bassisten braucht und ob ich Lust hätte. Dann bin ich erst einmal drei Monate auf Tour gegangen. Ich wäre auch nicht da, wo ich jetzt bin, ohne meine Eltern. Mein Vater hatte eine wahnsinnige Vinylsammlung. Er schickt mir auch fast täglich E-Mails mit neuer Musik, er kennt alle Artikel über Xixa, auch die, von denen ich nichts weiß." Brian hat ähnlich gute Erfahrungen gemacht: "Ich muss oft daran denken, dass ich, als ich jünger war, richtig schlechte Bands hatte. Meine Eltern kamen zu den Konzerten und haben so getan, als ob das gut wäre, was wir da machen", sagt Brian und muss darüber lachen. Aber wenn sie ihn nicht unterstützt hätten, hätte er vielleicht nicht weiter gemacht. "Meine Großmutter Mona, von der ich eben erzählt habe, die hat mir immer gesagt, ich soll doch was Anständiges machen, mit Computern arbeiten. Ihre letzten Worte an mich waren auch: 'Spar dein Geld!' Das war das Witzigste überhaupt. Die Situation war so traurig, aber als sie das gesagt hat, mussten wir alle lachen." Zum Glück bringt aber nun die Musik für Brian genügend Geld ein.

Als es darum geht, dass Xixa eine Frage fürs Interviewbuch aufschreiben, denken sie sich richtig fiese Fragen aus. Schließlich schreiben sie: "Wer riecht am schlimmsten in der Band?" und "Wer ist der schlechteste Musiker in der Band?". Brian freut sich tierisch über die gemeinen Fragen: "Die nächste Band wird sich so in die Haare bekommen bei den Fragen!" Als ich ihnen mitteile, dass sie die Frage aber nun selbst beantworten müssen, werden sie erst einmal ganz verlegen, lachen und haben nicht mehr viel zu sagen. "Wir sind eine ziemlich gut riechende Band!" Und wer ist der schlechteste Musiker? "Definitiv nicht wir beide!" sagen Brian und Gabriel und müssen wieder beschämt lachen. Mehr gibt es dazu von ihnen nicht zu sagen.

"Shift And Shadow"

"Blood Line"

"Cubmia Del Paletero (Live im Rialto Theater)"

Marlena Julia Dorniak

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