Interview

Woog Riots


Bereits vor zwei Jahren unterhielten wir uns schon einmal mit den Woog Riots. Damals im kleinen Weinheim, heute im noch kleineren Studentenstädtchen Nürtingen. Wieso statt Säge jetzt der Laptop singt, eine Mutter sehr wohl auch Musikerin sein kann, und Finnen einfach die coolsten sind.

Euer neues Album ist ein Konzeptalbum.

Silvana: Die Idee ist eigentlich entstanden, während wir das Album geschrieben haben. Wir hatten bereits Songs aus der Sektion "Places", und dann kamen die "Animals" dazu, dann dachten wir über eine solche Anordnung nach. Man sagt ja, die ersten drei Songs müssen die stärksten sein, und danach darf es abflachen. Das finde ich total schwachsinnig. So haben wir nun die verschiedenen Sektionen, und in jeder sind auch unsere Lieblingssongs vertreten. Das ist einfach eine ganz andere Herangehensweise.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, ihr übt lediglich Kritik an der Gesellschaft. Doch dann gibt es solche Songs wie Night Bus, in dem es und ganz normale alltägliche Erlebnisse geht.

Marc: Klar, auf der einen Seite sind gesellschaftliche Fragen, kulturelles und Popkultur interessant, aber dann haben wir natürlich auch persönliche Erlebnisse, über die wir schreiben. Nur auf Love Songs hatten wir nicht so viel Lust.

Silvana: Das liegt auch daran, dass wir die Songs immer zusammen schreiben. Und es gibt Themen, die uns beschäftigen. Dann kommen auch solche Themen mit Kritik, die uns nerven. Dann haben wir unsere Aufhänger, wir reden darüber. Der Night Bus war zum Beispiel ein persönliches Erlebnis.

Dieses Erlebnis hat nicht zufällig etwas mit eurem Album-Cover zu tun?

Marc: Doch: Der Night Bus Song ist etwas von London beeinflusst. Obwohl wir Leute kannten, die dort leben, sind wir jedes Mal zwei Stunden mit dem Nachtbus unterwegs gewesen, bis wir irgendwo angekommen sind, weil die selbst nicht mehr wussten, wo der Bus gerade hinfährt. Das Foto auf der Platte ist aber in Barcelona entstanden.

Silvana: Auch in einem Nachtbus. Und als wir dann zusammenquetscht mit hundert Leuten da standen, dachten wir: Mensch, das ist ja wie in London. Nachdem unsere Netzwerke entstanden sind, dachten wir auch, dass das mit diesen vielen Menschen im Bild – und wir mittendrin, das könnte überall auf der Welt sein – uns ganz gut repräsentiert. Das Foto ist also nicht gestellt.

Ihr klettert die Leiter ja gut und sicher ein kleines Stück nach oben. Für die neue Platte habt ihr schon zwei Videos gedreht. Hören wir euch vielleicht bald im Radio?

Silvana: Da laufen wir schon (lacht). Gerade letzte Woche haben wir auf Bayern2 ein Konzert aufgenommen, und in den deutschen CampusCharts sind wir auf Platz 11 mit "Frank Backwards". Aber ja, wir merken´s auch. Nach dem ersten Album haben wir auch mehr Wert darauf gelegt, dass es tanzbar ist. Wir legen beide auch auf, und wir wollten dieses mal etwas machen, worauf wir selbst gerne tanzen würden. Und das scheint sehr gut anzukommen und spricht auch mehr Leute an.

Das neue Album groovt definitv mehr.

Silvana: Genau.

Legt ihr bei regelmäßigen Veranstaltungen auf?

Marc: Ab und zu. Wir wurden oft gefragt, was wir von unserem ersten Album auflegen würden. Und ich sagte immer: Nix. Weil eben nichts dabei ist, worauf man so richtig tanzen kann, das ist eher zum Anhören. Deshalb wollten wir mehr Tanzbares schreiben, das war der Anfang des neuen Albums.

"Backstage Lemonade" könnte durchaus autobiographische Züge haben. Als Tochter sowie als Mutter.

Silvana: (grinst) Genau. Da gibt es auch wieder eine Geschichte aus Barcelona. Wir hatten die Idee zu einem Song, weil meine Tochter irgendwann einmal genervt sagte, "ääh, schon wieder ein Konzert". Dann machten wir uns über die Perspektive von Kindern Gedanken, wenn die Mutter Künstlerin ist, egal ob Schauspielerin oder Musikerin. Als Mutter muss man sich dann immer vom näheren Umfeld anhören, dass man das doch gar nicht machen kann, weil man eben Mutter ist. Die drei K´s stehen ja leider auch heute noch. Wir schrieben den Song und hatten dann Kontakt zu Kimya Dawson. Ich fragte sie, du bist doch auch gerade Mutter geworden, wie geht's dir denn dabei? Musst du dich auch ständig rechtfertigen, wenn du unterwegs bist? Sie sagte, klar, total. So fragten wir sie, ob sie nicht Lust hat, mit uns zu singen, denn der Song ist ja ein Statement von Frauen, die irgendwie aktiv sind, es könnten auch Malerinnen oder sonstwas sein. Du kämpfst einfach mit dem Problem, dass du noch nicht gleichwertig behandelt wirst.

Man merkt den Unterschied tatsächlich noch?

Silvana: Absolut. Wenn ich jemandem erzähle, ich bin Musikerin, kommt ständig: Was!? Wie machst du das denn mit den Kindern? Und ich sage: wie jeder andere auch. Es ist noch nicht selbstverständlich.

Marc: Musikerväter werden eben nicht gefragt, wie sie das mit ihren Kindern machen. Da ist das alles auf einmal in Ordnung.

Seid ihr selbst Musikerkinder?

Marc & Silvana: Nein, gar nicht.

Stichwort Kimya Dawson. Sie hat euch ja für das ganze Woog-Riots-Projekt inspiriert.

Silvana: Nein.

Marc: (sofort) Doooch!

Silvana: Na gut, die Band Moldy Peaches.

War das die erste Begegnung mit ihr?

Silvana: Nein, der Kontakt war vorher schon da. Zuhause haben wir einen Veranstalter, der haufenweise tolle Bands holt. Durch die kleine Örtlichkeit lernt man die Musiker auch kennen. Ich habe Kimya einen Schlafplatz angeboten, weil ich weiß, wie es ist, als Musiker manchmal kein Hotel zu bekommen. So entstehen manchmal auch Freundschaften. Die Zusammenarbeit mit ihr war ganz unkompliziert.

Marc: Während der Aufnahmen hat ihre Tochter in Silvanas Schlafzimmer gepinkelt. Aber dann hat sich Kimya die Kopfhörer geschnappt, sich dazugestellt und mitgesungen.

Silvana: Eine Sache war sehr schön. Es gibt diese Songzeile "She´s a Rock´n´Roll Star". Da sagte sie zu mir: "Ach, das singst aber lieber du" (lacht).

Silvana, du hast ein Faible für ungewöhnlich Instrumente, die sich auf der Bühne vor dir auftürmen. Hat sich eure Instrumentesammlung seit dem letzten Album erweitert?

Silvana: Sie hat sich verändert. Auf dem ersten Album war ja alles noch analog. Aber ich habe jetzt entdeckt, dass man das alles auch modern gestalten kann. Und deswegen trete ich heute Abend auch mit dem Laptop auf. Die Software steuere ich dann mit dem Keyboard an. Man kann eben vielfältiger damit arbeiten, als wenn man die ganzen Instrumente dabei hat.

Aber gerade das war ja sehr sehenswert.

Silvana: Ja, es ist sehenswert, aber ich habe ja noch mein Stylophone und das Omnichord, das gebe ich auch nicht her, das ist auch immer dabei und wird genutzt. Aber die Säge zum Beispiel ist heute nicht dabei.

Ihr habt in England und Finnland getourt. Was für Erfahrungen habt ihr bisher im Ausland gesammelt?

Marc: Sehr gute mit den Leuten, mit der Organisation ist es allerdings schwierig. Wir haben keine Plattenfirma in England, die Werbung machen würde, das sind dann immer sehr sehr kleine Konzerte.

Silvana: Toll war, dass mehrere Bands am Abend spielen, und die Leute als Native Speaker natürlich mehr auf die Texte achten. Wir wurden ganz oft angesprochen, sie fanden die Texte interessant.

Marc: In Finnland gibt es eine ganz tolle Undergroundszene.

Ist euer Underground-Netzwerk dadurch gewachsen?

Silvana: Auf alle Fälle. In Finnland haben wir einen wahnsinnigen Ruf, das war uns gar nicht bewusst. Wir haben uns neulich mit jemandem aus Hamburg unterhalten, der finnische Bands veranstaltet. Diese eine Band aus dem hintersten Winkel von Finnland kannte uns, da war ich völlig aus dem Häuschen. Das liegt aber natürlich auch daran, dass die Szene dort sehr überschaubar ist. Die Leute dort sind sehr hellhörig und aufmerksam.

Das müsste in England genau umgekehrt sein. Dort werden die Leute doch regelrecht überflutet mit Bands.

Marc: Ja, aber in der DIY-Szene, in der wir gespielt haben, hilft man sich auch gegenseitig.

Silvana: Und man darf nicht vergessen, als deutsche Band, die englisch singt, hat man einen kleinen Bonus, weil die davon schon sehr angetan sind. Und nach dem Konzert ist es hier zwar auch normal, dass man sich mit den Leuten noch unterhält, aber dort gibt's dann Schulterklopfen und ganz andere Fragen, richtige Detailfragen. Das war ein super Erlebnis. Da wollen wir wieder hin, unbedingt! (lacht)

Wie sieht sonst ein gewöhnlicher Sonntag bei euch aus, wenn ihr nicht wie heute Konzerte spielt?

Marc: Ich gucke keinen Tatort!

Silvana: Lange ausschlafen und frühstücken.

Wie geht das, mit Kindern?

Silvana: Sonntags bin ich kinderlos. Da habe ich frei, sozusagen.

Foto: Philipp Friedrich

Stefanie Graze

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Rezension zu "Pasp" (2008)
Interview (2006)

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