Interview

Travis


Travis waren die Vorbilder aller Coldplays und Keanes und wie sie alle heißen. Ende der Neunziger definieren sie den Brit-Pop neu. Seit ein paar Jahren ist es ruhiger um sie geworden, nun stehen sie mit ihrem mittlerweile achten Album in den Startlöchern. Wir treffen uns mit Sänger Fran Healy zum Gespräch und unterhalten uns vor allem über Vergänglichkeit und das Erwachsenwerden.

Wir schreiben das Jahr 1999, als sich so etwas wie eine "Schlüsselszene" ereignet: Im richtigen Moment scheint eine höhere Macht den Schalter zum Regen gefunden zu haben und macht damit den Auftritt einer bis dato medium erfolgreichen Band legendär. Pessimistischere Geister könnten auch sagen, dass es einfach ein Zufall war, als Travis die Bühne des Glastonbury Festivals betraten. Der ganze Tag war sonnig und trocken - bis zu dem Augenblick, als die Glasgower Jungs die ersten Akkorde ihres Songs "Why Does It Always Rain On Me?" anstimmten. Nach dem Song hört der Regen wieder auf und fertig: Ein Bild, von der Popwelt geliebt, ist gezeichnet und Travis nun in allen Radiostationen und Musikfernsehprogrammen. "Why Does It Always Rain On Me" und das dazugehörige Album "The Man Who" von Travis feiern Erfolge und die Band hat ihren internationalen Durchbruch. "Man, das ist so lange her, Wahnsinn! Ich kann mich noch erinnern, dass wir selber nur dachten: 'Na toll! Wenn sich jetzt rumspricht, dass wir es auf Festivals immer regnen lassen, dann will uns bald keiner mehr hören!'", lacht Fran. Er ist haarig geworden, trägt Dutt und einen grau melierten Rauschebart, der sein schmales Gesicht voluminöser macht. Das ist aber auch das einzige Indiz dafür, dass der Musiker älter geworden ist. Er schaut immer noch jugendlich aus, trägt irgendein altes Bandshirt und Sneaker und die einzigen auffälligen Falten im Gesicht zeigen sich beim Lachen.

Kurz bevor er sich dem Interview widmet, telefoniert er mit seiner Frau, um, wie er entschuldigend erklärt, die Planung für den zehnten Geburtstag seines Sohnes voranzutreiben. "Manchmal kann ich gar nicht fassen, dass ich bereits einen zehnjährigen Sohn habe! Er ist mittlerweile eine eigene Person mit einem richtig eigenen Charakter. Ich glaube, dass es auch deshalb gerade ok für mich ist, wieder auf Tour zu gehen, mehr unterwegs zu sein. Ich gehe nicht mit der Angst, einen wichtigen Schritt in seiner Entwicklung zu verpassen!", erklärt er.

Die späten Neunziger und die noch zaghaft anfangenden 2000er waren geprägt vom "hinreißenden Selbstmitleid" (Die Zeit, Rekorder) von den Jungs um Fran Healy. Die bezaubernden Melodien, die bescheidenen Lyrics und die Balance zwischen Kitsch und Augenzwinkern machten Travis zweifelsohne zu einer Band, über die Markus Kavka einst sagte, dass sie einfach keine schlechten Songs schreiben könne. Noch heute treffen Songs wie "Sing" mitten ins Herz und öffnen bei wahrscheinlich jedem und jeder in den 80ern Geborenen eine Schatztruhe an Erinnerungen. Der erste Absturz dank zu viel Tequila, die Aushändigung des Mofa-Führerscheins, mit dem wir endlich ins Nachbardorf fahren konnten, oder den ersten richtig ekligen Zungenkuss haben wir längst gedanklich eingemottet. Aber sich die frühen Travis-Sachen anzuhören, ist ein bisschen wie mit alten Freunden abzuhängen und entspannte, erinnerungsreiche Gespräche zu führen. "Mir geht es mit unseren Songs ganz genauso! Gerade der Song 'Funny Thing'", den du gerade angesprochen hast – ich weiß noch genau, wie ich abends im Auto saß, der Himmel war tiefrosa, die Landschaft total schön und ich erfuhr kurz danach, dass mein Großvater gestorben war. Daraufhin habe ich diesen Song geschrieben. Wenn ich ihn heute höre, ist es so, als hätte jemand die Zeit zurück gedreht."

"Durch unsere Albumveröffentlichungen habe ich eine richtige Chronik meines Lebens. Man hat zu jedem Album eine Geschichte und kann genau sagen, in welcher Phase man damals steckte. Nach 'Ode To J. Smith' (2008) wussten wir beispielsweise, dass es mit Travis erstmal vorbei ist. Wir haben uns danach fünf Jahre nicht gesehen. Nicht, weil wir uns nicht mochten oder Streit hatten, aber nach knapp zehn Jahren zusammen als Band brauchten wir alle unsere Ruhe. Ich bin damals nach Berlin gezogen und habe mit meinen Bandmitgliedern fast kein Wort mehr gewechselt."

Langweilig wurde Healy währenddessen nicht. Er hat seine Prioritäten mehr auf seine Familie umgelagert und ein Solo-Album veröffentlicht. 2013 klopften Travis mit "Where You Stand" wieder an den Toren der Musikwelt. "Ehrlich: Keiner von uns wusste, ob wir als Travis wirklich noch mal zusammenfinden. Mit 'Where You Stand' haben wir uns langsam wieder aneinander gewöhnt, das Feld abgeklopft. Jetzt, mit der neuen Platte 'Everything At Once' sind wir wieder so richtig da!" Die erste Auskopplung und das Art-Work des dieser Tage erscheinenden Albums erscheint ungewohnt fröhlich und bunt. Healy stimmt zu und spricht von neuem Selbstbewusstsein "Ich glaube, das kommt mit dem Alter! Wir müssen einfach niemandem mehr irgendwas beweisen. Als junge Band haben wir immer geschaut, was Label-Chefs sagen, was Manager sagen, was die Presse sagt. Heute hören wir auf uns selber. Das ist so ein gutes Gefühl, sich da emanzipiert zu haben. Ich bin richtig glücklich darüber, dass wir diesen Punkt erreicht haben!", erklärt er.

"Weißt du", sinniert er, "keiner hat sehnsüchtig auf ein Album von uns gewartet. Keiner wartet darauf, dass wir endlich wieder auf Tour gehen. Aber wir haben Lust darauf!"

Auf seinen "Berliner Look" mit Bart und Dutt angesprochen, lächelt er. Das habe nichts mit Berlin zu tun. Er habe bei einer Songwriting-Session einfach aufgehört sich zu rasieren und da sei ihm aufgefallen, dass er besser aussieht denn je. "Als junger Mann hatte ich immer Probleme mit meinem Aussehen und meinen immer weniger werdenden Haaren. Jetzt habe ich viel mehr Haare als zuvor. Und keine Unsicherheiten mehr!"

Silvia Silko

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Rezension zu "10 Songs" (2020)
Rezension zu "Everything At Once" (2016)
Rezension zu "Where You Stand" (2013)
Rezension zu "Ode To J. Smith" (2008)
Rezension zu "The Boy With No Name" (2007)

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