Interview

Noga Erez


Noga Erez wird von der Presse gefeiert – als diejenige, die die israelische Popkultur präsentiert, die der Politik in ihrer Heimat durch ihre Songs eine Ansage macht, die mutig, schlau und talentiert ist. Und sie wird immer wieder auf die politische Lage in Israel angesprochen. Aber Noga Erez hat noch mehr zu erzählen – zum Beispiel über den Traum vom Fliegen, darüber, wie glücklich sie ist, die Möglichkeit zu haben, das zu tun, was sie tut, über die besondere Chemie zwischen ihr und ihrem Partner Ori Rousso, oder auch einfach nur übers Haare Blondieren.

Im Backstage-Bereich beim Appletree-Garden-Festival schaue ich mich nach Noga Erez um. Ich suche nach dunklen, langen Haaren und kann sie nicht finden. Schließlich findet mich ihre Tourbegleiterin und bringt mich zu ihr. Noga sitzt entspannt am Wasserbecken und lässt ihre Füße darin baumeln. Aber kein Wunder, dass ich sie nicht entdeckt habe, denn sie hat einen kompletten Stilwandel hinter sich. Ultra-blonde, wuschelige Haare umgeben ihr Gesicht. "Man kann sich nicht vorstellen, wie lange es dauert, dunkle Haare in hellblonde zu verwandeln. Der ganze Prozess hat zehneinhalb Stunden gedauert! Als kleines Kind hatte ich fast weißes Haar und blaue Augen, ich dachte, dass ich die hellere Seite noch in meinen Genen habe und es schneller geht."

Zuletzt habe ich Noga Erez, noch im alten Look, auf dem Fusion-Festival live gesehen. Was ist, außer dem ewig langen Haarefärben, noch so in den letzten Wochen bei ihr passiert? "Wir sind zurück nach Israel geflogen, um ein paar Dinge zu erledigen. Glücklicherweise haben wir eine Förderung für ein neues Video bekommen – aber verbunden mit einer baldigen Deadline! Also mussten wir in den letzten Wochen sehr schnell nach einer Idee für das Video suchen und alles arrangieren. In den nächsten Tagen werden wir in Berlin das Video drehen, es werden nur Frauen darin vorkommen, was ich großartig finde."


Foto-Credit: Lukas Haese

Beim Fusion-Festival waren Noga Erez und Son Lux nacheinander aufgetreten und hatten sich gegenseitig in höchsten Tönen gelobt. Die Labelkollegen (City Slang) scheinen also auf einer Wellenlänge zu sein. Ohne zu wissen, an wen er sie richtet, hat Ryan Lott (Son-Lux-Mitglied) im letzten Interview eine Frage aufgeschrieben, die nun von Noga Erez beantwortet werden soll. Sie freut sich extrem darüber. "Wow! Das ist episch!! Ryan und ich, da ist etwas Besonderes zwischen uns! Er taucht immer wieder in meinem Leben auf!" Die Frage, die er gestellt hat, lautet: "Würdest du ein Jahr deines Lebens dafür geben, dass du dein Leben lang fliegen kannst? Warum oder warum nicht?" – "Ich würde sofort mit allem Anderen aufhören und genau das tun! Das ist eine Frage, die ich total aufregend finde, denn sie hilft mir, über etwas nachzudenken, worüber ich häufig total enthusiastisch phantasiere. Für mich ist die Antwort ganz klar 'ja'! Es gibt viele Fähigkeiten, für die ich ein Jahr freinehmen würde, um sie zu lernen, wenn ich also fliegen lernen könnte, würde ich das definitiv tun!" Und wo würde Noga Erez hinfliegen, wenn sie selbst fliegen könnte? "Ich würde zum Beispiel einfach da nach oben in die Bäume fliegen und mir die Welt von dort angucken. Wenn ich vom Fliegen träume, dann eigentlich nie davon, durch verrückte Landschaften zu fliegen, sondern ich bin dabei in meiner realen Umgebung. Mit dem Unterschied, dass ich nicht normal laufe, sondern ein wenig über dem Boden schwebe. Das sind meine Träume vom Fliegen. Wenn so dann auch das Fliegen in der Realität wäre, würde es mich wahrscheinlich irgendwann langweilen. Alles langweilt mich irgendwann. Außer vielleicht die Musik. Einen Song fertig zu stellen, kann wie eine Droge sein. Ich denke nicht, dass mich das irgendwann langweilen wird."

Auch, wenn sie sich beim Musikmachen nicht immer sicher ist, ob das gut ist, was sie tut. Als Kind war Noga extrem selbstsicher, hat dies aber mit den Jahren verloren. "Ich bekomme dieses Selbstwertgefühl nicht zurück, ich lebe mit den Zweifeln. Aber mein Partner Ori, dem ich extrem vertraue, bewahrt mich davor, peinliche Dinge zu tun, sodass ich mich sicherer fühlen kann." Wenn Noga davon spricht, dass sie schnell gelangweilt ist, kommt mir die Frage in den Sinn, wie es sein kann, dass sie dann alles mit ihrem Partner Ori Rousso zusammen machen kann. "Nun... wir machen wirklich alles zusammen, wir sind ein Paar, wir arbeiten zusammen, sind 24 Stunden am Tag zusammen. Es braucht schon eine gute Basis-Chemie, damit das funktioniert. Aber bei all diesem Zusammensein erlauben wir es uns trotzdem, dass jede Person für sich ist, auch, wenn wir zusammen sind. Es ist eine atmosphärische Sache. Aber natürlich war es zum Beispiel anfangs eine Herausforderung, zusammen auf Tour zu gehen, denn wir haben oft unterschiedliche Ansichten, wie die Dinge ablaufen sollen. Aber wir werden besser darin, auch, wenn wir für acht Stunden im gleichen Van gefangen sind."

Die richtige Chemie herrscht auch, wenn Noga und Ori zusammen Musik machen. Musik bietet die Möglichkeit, starke Verbindungen zwischen Menschen herzustellen. Noga mag es gerne, mit Personen, die ihr wichtig sind, Musik auszutauschen, sich gegenseitig Songs zu schicken. "Es ist so schön, wenn eine andere Person bei einem Song an dich denkt und dir diesen schickt. Es ist eine tolle Art von Austausch und kann sehr aufmerksam und umsichtig sein."


Foto-Credit: Lukas Haese

Aber nicht nur über Musik tauscht sich Noga gerne aus, auch über Literatur und Serien. Zum Beispiel hat sie "The Handmaids Tale" komplett als Serie gesehen: "Ich habe die zwei Staffeln so gut wie an einem Stück gesehen – das war ganz schön intensiv, aber ich konnte nicht aufhören. Meine Schwester ist zurzeit schwanger, ich habe ihr gesagt, dass sie es nicht anschauen soll, bis das Kind da ist und ihre Hormone an der richtigen Stelle sind. Es als Frau anzuschauen, ist die eine Sache, aber die Serie als werdende Mutter zu schauen, ist nochmal intensiver." Das Buch von Margaret Atwood, das die Grundlage für die Serie bildet, findet Noga aber noch viel empfehlenswerter. Generell findet sie es schade, dass immer weniger Menschen Bücher lesen. Welches Buch würde Noga unbedingt allen zum Lesen empfehlen? "Eigentlich alle von Meir Shalev, denn er ist extrem talentiert. Er ist während der Gründungszeit von Israel in einem Kibbuz aufgewachsen. In einer kleinen Community, die einer utopischen Idee – inspiriert vom Kommunismus – nacheiferte, und dabei auch viele dunkle Seiten hatte. Shalevs Geschichten erzählen meist vom Leben in Israel. Es gibt auch viele Videos von ihm auf YouTube, in denen er sich zur politischen Lage äußert, sehr offen, sehr links orientiert – ich bin sehr auf seiner Seite, aber nicht nur deswegen finde ich es empfehlenswert, das anzuschauen."

Die politische Lage in Israel zu erklären, dazu wird Noga Erez auch oft in Interviews aufgefordert. Ist das nicht manchmal ein wenig anstrengend, immer die rebellische Vertreterin des Landes zu sein? "Natürlich würde ich lieber auch mehr über Musik sprechen, ich habe viele andere Dinge zu erzählen. Aber wenn ich über Israel spreche, dann ist das auch wichtig. Außerdem wandelt es sich immer wieder. Wenn ich heute über Israel spreche, dann ist es nicht das Gleiche wie vor vier Monaten. Aktuell ist es wieder sehr heikel und ich muss genau darüber nachdenken, wie ich mich ausdrücke. Unglücklicherweise ist es ein nie endendes Thema und es ist nicht möglich, den Konflikt einfach so zu erklären."

Ihr aktuelles Album, bei dem es in den Texten natürlich auch politisch zugeht, heißt "Off The Radar". Gibt es für Noga in ihrem Alltag bestimmte Orte, zu denen sie geht, um tatsächlich vom Radar zu verschwinden? "Ja, ich habe eine Routine dafür. Ich habe vor einiger Zeit angefangen zu laufen, um meinen Körper zu trainieren, denn ich hatte das Gefühl, dass ich mich stärken müsste. Ich laufe 3-4 Mal in der Woche und muss dafür manchmal sehr früh aufstehen. Aber diese vier Stunden in der Woche sind die Zeit, die ich nur für mich habe, in der mich niemand kontaktieren kann. Es ist faszinierend, was für eine Wirkung das hat! Dennoch ist es beim Laufen schwierig für mich, vom Radar zu verschwinden – ich lebe in Tel Aviv, wo alle sich kennen. Aber alleine durch das Weglaufen fühle ich mich freier, sogar wenn jemand nach mir ruft, kann ich einfach weiterlaufen," erzählt sie grinsend.

Noga schreibt auch etwas für die nächste interviewte Person auf: "Beschreibe die eine Sache, bei der du weißt, dass du glücklich bist. Was hat dich dazu gebracht und was erinnert dich daran, dass du tatsächlich glücklich bist?" Noga selbst ist euphorisch: "Ich kann mich so glücklich schätzen, dass ich Musikerin bin! Das habe ich mein ganzes Leben lang gemacht und wurde darin unterstützt. Und selbst, wenn ich mal nicht unterstützt wurde, habe ich es weitergemacht. Das Musikmachen hat mich so oft auf den richtigen Weg gebracht. Und wenn ich an Orten wie diesem bin, wenn ich auf die Bühne gehen kann, dann erinnere ich mich daran, dass ich extrem glücklich bin," sagt sie und stößt einen Freudenschrei aus: "Yeah! Wohooo!"

Marlena Julia Dorniak

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