Interview

Mutual Benefit


Ihr Album "Love's Crushing Diamond" hat es im Februar bei uns zum Album der Woche geschafft, nun haben wir Mutual Benefit trotz Tourstress und knurrendem Magen vor ihrem Gig im Hamburger Turmzimmer zum Gespräch getroffen.

Im Backstagebereich des Hamburger Turmzimmers sitze ich mit Mutual Benefit und übersetze ihnen die Speisekarte eines asiatischen Restaurants. Während ich erkläre, dass "asiatisches Essen" in diesem Fall für ein nicht näher nach Regionen bestimmbares Konglomerat an japanischem Sushi, indischen Currys und thailändischem Phat Thai steht, bekommt die Vorband "Children" gerade ihren Soundcheck. Es ist alles sehr hektisch, die Band ist eine Stunde zu spät, vollkommen ausgehungert und ein wenig genervt vom allzu raschen Soundcheck. Trotzdem entwickelt sich das Interview mit Jordan und Jake zu einem angenehm entspannten Gespräch über die Entstehungshintergründe des Albums, den Einfluss, den unterschiedliche Raumstrukturen darauf hatten und wie freiheitsliebende Blumenkinder auch den stärksten Bunker in etwas Schönes transformieren können.

Ihr scheint sehr unter Zeitdruck zu stehen. Könnt ihr eure erste Europatour trotzdem ein wenig genießen?

Jordan: Es ist eigentlich gar nicht so schlimm. An den Tagen zwischen den Auftritten haben wir Zeit, die Orte, an denen wir uns befinden, näher zu erfahren. Gestern in Berlin zum Beispiel. Da waren wir auf dem verlassenen Flughafen Tempelhof und hatten dort ein Picknick. Es war sehr inspirierend, jeder dort schien irgendwie kreativ tätig zu sein. Es ist inspirierend, an einem Ort zu sein, der so unmittelbar formbar ist.

Ist das ein Unterschied zu den Orten, an denen du in den USA gewohnt hast?

Jordan: New York ist auf eine andere Art inspirierend. Es gibt dort sehr viele talentierte Menschen, aber wenig Platz. Unser Proberaum ist ca. 5 qm groß.

Es ist interessant, dass du das ansprichst. Ich finde gerade, dass sich in eurer Musik diese amerikanische Romantik wiederfindet, die durch die scheinbar unbegrenzte Weite des Landes inspiriert zu sein scheint.

Jordan: Das stimmt. "Love's Crushing Diamond" wurde über einen langen Zeitraum hinweg in verschiedenen Städten geschrieben. Vermutlich haben sich die verschiedenen Inspirationen, die ich an den unterschiedlichen Plätzen hatte, auf die Stimmung des Albums übertragen.

Jake: Wir haben sehr viele "House Shows" gespielt, einfach im Wohnzimmer von Freunden oder Fans. Dadurch, dass da so wenig Geld involviert ist, konnten wir sehr viel ausprobieren und ohne Druck Erfahrungen im Umgang mit den Leuten sammeln.

Jordan: Die Leute denken aufgrund der plötzlichen Popularität des Albums oft, wir seien eine neue Band. Die Wahrheit ist aber, dass ich das bereits seit 2009 mache und seitdem wahnsinnig viele dieser "House Shows" gespielt habe, was uns eine Möglichkeit des druckfreien, organischen Wachstums gab.

Ist es für euch eine große Umstellung nach dieser "Do It Yourself"-Herangehensweise, einen fremdbestimmten Tourplan mit Terminen und Fristen einhalten zu müssen?

Jordan: Ja, die ersten Monate hatten wir schon damit zu kämpfen. Es gab sehr viel Neues für uns. Zum Beispiel Steuern zu zahlen ist eine Sache, die einen mentalen Druck ausüben kann. Das Album wurde nicht mit solchen Dingen im Kopf geschrieben, daher hat das meine Kreativität auch nicht eingeschränkt. Also, ich sehe das so: Das Wichtige ist mit dem Schreiben des Albums bereits geschehen. Die Anerkennung unserer Arbeit durch die Presse und das Touren sind nur ein Bonus.

Jake: Für mich rührt der Druck ein wenig daher, die Albumerfahrung auf der Bühne zu reproduzieren. Bei unseren früheren Shows kannten die Leute meist nichtmal unsere Songs und hatten dementsprechend keine Erwartungen an uns. In Europa kennen uns die Leute bisher nur durch unser Album und kommen mit einer gewissen Erwartungshaltung zu unseren Shows.

Wie ist es dann für euch, die Stimmung eures Albums an einem Ort wie diesem wiederzugeben, einem Relikt aus dem zweiten Weltkrieg mit zwei Meter dicken Wänden? Ist das bei einem Album, das so stark mit einem post-hippiesken Freiheitsgefühl spielt, nicht paradox?

Jordan: Genau das war auch meine Angst. Wir hatten häufig schreckliche Erfahrungen mit traditionellen Veranstaltungsorten wie Bars oder Clubs, da wir uns diese nicht frei aussuchen konnten wie die Wohnzimmer von Freunden. Aber auf den bisherigen Konzerten der Tour habe ich gelernt, dass die Menschen uns gegenüber so wohlwollend sind, dass das selbst einen von sich aus kalten Raum wie diesen transformieren kann.

Wie kann man das Transformieren eines Ortes mit einer, geschichtlich gesehen, zwiespältigen Daseinsberechtigung mit eurer Musik verbinden? Wie könnt ihr heute diesen Bunker in einen Ort der Freude verwandeln?

Jordan: Viele Songs der Musikgeschichte, gerade in der amerikanischen, handeln von Schmerz. Und oft ist die Botschaft dieser Songs: "Everything is gonna be OK". Was soll das überhaupt heißen? Es wird niemals ALLES in Ordnung sein. Und das ist auch gut so. Ich mag es, wenn auch die dunkle Seite des Lebens akzeptiert wird, aber man gleichzeitig optimistisch der Zukunft gegenüber ist. Als ich anfing, das Album zu schreiben, war ich häufig ziemlich deprimiert. Aber ich wollte mich ausgleichen und diesen Prozess auch in meiner Musik wiederfinden. Dafür durfte ich nicht meine Vergangenheit leugnen, sondern musste diese als Teil von mir akzeptieren.

Ein sehr passender Abschluss. Vielen Dank!

Daniel Flamme

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Rezension zu "Love's Crushing Diamond" (2014)

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