Interview

Motorama


Ein Interview mit allen Motorama-Mitgliedern ist selten. Normalerweise steht dafür nur Sänger Vlad zur Verfügung. Nicht, weil er sich in irgendeiner Weise als wichtigstes Bandmitglied sieht, sondern aus einem ganz einfachen Grund: Weil sein Englisch am besten ist. Während die Band vor ihrem Konzert im AJZ in Bielefeld zusammen gegessen hat, war sie aber in so guter Laune, dass sie sich für ein gemeinsames Interview mit Händen, Füßen und vollen Mündern überreden ließ. Welche deutschen Künstler die Band schätzt und was sie von Scooter hält, erfahrt ihr in unserem Interview.

Mit dabei waren Sänger und Gitarrist Vladislav Parshin, Bassistin Irene Parshina, Gitarrist Maxim Polivanov, Drummer Roman Belenkiy und Keyboarder Alexander Norets.

Ihr sagt, dass euer Englisch schlecht sei, aber dabei könnte ich wahrscheinlich sogar Deutsch mit euch sprechen, oder?

Maxim: Ja, wir haben an der Uni etwas Deutsch gelernt. Aber es reicht nicht zum Sprechen.

Ich habe mich sehr über dein Mixtape mit deutschen Songs gefreut, Vlad. Verstehst du, was die da singen?

Vlad: Nein, aber ich mag die Songs. Vor allem mag ich Andreas Dorau (Anmerk. d. Red.: Größter Erfolg: "Fred Vom Jupiter"). Aber ich bin kein Spezialist für deutsche Musik. Ich hab die Lieder im Internet gefunden. Ich hab nach einem Künstler gesucht und bin dabei auf viele andere gestoßen. Ich mag zum Beispiel Jeans Team, 1000 Robota, Element Of Crime, Palais Schaumburg und Grauzone gerne.

Ich bin ähnlich wie du vorgegangen, als ich mich über russische Musik informiert habe.

Irene: Was hast du dir angehört?

Das waren Bands wie Human Tetris, On-The-Go, Ifwe und andere, deren Namen ich nicht aussprechen kann. Spielt ihr mit diesen oder anderen Bands in Rostow oder überhaupt in Russland?

Vlad: Nein, in Rostow gibt es, wenn überhaupt, ein paar Hardcore- oder Drone/Stoner-Bands. Wenn wir auftreten, spielen wir immer alleine, aber wir spielen auch nur noch ein bis zwei Mal im Jahr in Rostow. Es gibt keine große Indie-Szene dort.

Habt ihr denn dann Fans in Rostow und in Russland?

Irene: Nein, leider nicht. Die Musik, die wir machen, ist überhaupt nicht angesagt in Rostow. Hip Hop wird da schon eher gehört.

Wie sieht es überhaupt mit einer Indie- oder Subkultur in Russland aus?

Vlad: In Moskau gibt es ein paar kleine Läden und eine gewisse Szene, in Rostow aber überhaupt nicht.

Irene: Aber wir haben einen Club in Rostow, der ähnlich ist wie dieser hier. Die anderen sind für die Mädchen mit Highheels (lacht).

Ich nehme an, ihr könnt noch nicht von eurer Musik leben. Was sind eure "normalen" Jobs zu Hause?

Maxim: Ähm... Ich mache viele Sachen (alle lachen). Ich mache zum Beispiel Fotos für Magazine und vieles andere.

Vlad: Roman arbeitet zum Beispiel als Tontechniker im Theater, Irene arbeitet im Gericht als Anwältin, ich arbeite für eine Jeans-Fabrik, mache Social-Media Sachen für sie, deren Website und so etwas. Alles keine verrückten Jobs, keine Anarchie. Wir müssen Geld verdienen, um unabhängig zu sein.

Wie finanziert ihr das Tour-Leben? Es ist ja auch nicht gerade günstig, durch Europa zu reisen.

Vlad: Zuerst geben wir unser Erspartes aus und dann leben wir von dem Geld, was wir durch die Gigs verdienen. Dabei kommt nicht viel rum, aber es reicht gerade so. Doch wir genießen das Touren.

Irene: Wir versuchen auch immer, ein paar Sehenswürdigkeiten zu sehen und uns die Städte anzuschauen.

Maxim: Leider werden wir keine Zeit haben, uns Bielefeld anzusehen. Aber vielleicht beim nächsten Mal.

Ich mag eure Fotos sehr gerne, die es von eurer Tour zu sehen gibt und auch die schönen alten von euren Postern und Plattencovern. Woher nehmt ihr die alten Fotografien? Sind es Familienaufnahmen?

Vlad: Ich habe viele davon vom Flohmarkt. Es sind Aufnahmen aus den 60er Jahren.

Vlad, du schreibst auch die Texte für eure Songs...

Vlad: ... ja, leider. Ich hätte lieber, dass es jemand anderes tut, es fällt mir sehr schwer. Auf Russisch zu schreiben finde ich sogar noch schwieriger. Also tue ich mein Bestes auf Englisch.

Dabei mag ich deine Lyrics sehr gerne! Ich habe eine kleine Aufgabe für euch. Und zwar werde ich eine Art Kettenbrief mit Bands, die ich interviewe, machen. Ihr sollt die erste Band sein und der nächsten Band eine Frage hinterlassen, auf die sie antworten soll. Die erste Frage für euch stammt dafür von einem Scooter-Song "The Question Is What Is The Question?". Hier ist der Song-Text, falls ihr mal nachlesen möchtet.

Vlad: Scooter? Die sind großartig!

Irene: Die Russen lieben Scooter!

Vlad: Darf ich den Song-Text behalten? Ich finde die Lyrics super! Ich denke, wir können die Frage "The Question Is What Is The Question?" aus dem Song beantworten: "Uh na-na-na!?" (alle lachen).

Wusstest du, dass Scooter einen Song von einer sehr guten Post-Punk-Band namens The Comedians gespielt haben? "Second Skin" heißt das Lied und ist sehr rar. Dass Scooter diesen Song covern, ist, als ob Christina Aguilera...

...euch covern würde! Es ist interessant zu hören, dass sich Scooter mit "guter" Musik beschäftigen. Nehmt ihr Scooter ernst in Russland?

Vlad: (verteidigend) Sie sind sehr beliebt in Russland! Meiner Meinung nach haben sie gute Tracks!

Maxim: Der beste Song ist "Happy Hardcore"!

Vlad: Ja, auf jeden Fall! In ihrem Genre sind sie auf jeden Fall die Größten! Ich denke, Scooter sind nette Kerle! Ich habe sie im Fernsehen gesehen, es gibt immer mal wieder Sendungen über die 90er, Eurodance und so. H.P. hat live gesungen, ohne Megaphon und er war am Springen und am Singen, obwohl er schon so alt ist. Dabei sieht er immer gleich aus. (Im Hintergrund summen die anderen "Always Hardcore".) Ja, der Song ist richtig cool. "Always Hardcore" ist eine große Hymne, der Song wird immer größer und größer und wirkt wie eine Katharsis (Vlad macht Zischgeräusche).

Ich merke schon, ihr seid große Fans! Würdet ihr einen Song von Scooter covern?

Vlad: Es kommt auf unseren Drummer an... wenn der die Heftigkeit überleben würde, dann ja.

Roman: (imitiert sein Schlagzeugspiel) Vielleicht schaffe ich ja 2000 BPM! (lacht)

Vielleicht solltet ihr einen Love-Song daraus machen, damit ihr die Geschwindigkeit runter drehen könnt. Ach so, ihr solltet euch ja noch eine Frage für die nächste Band überlegen.

Maxim: "How much is the fish?" (alle lachen)

Die Band diskutiert ein wenig auf Russisch, dann sagt Vlad: Die Frage wird sein: "Was ist in deiner Tasche?" (Vlad schreibt die Frage fein säuberlich auf, die anderen schauen ihm dabei zu.)

Ah, die Frage kann ich euch ja auch stellen. Also, was habt ihr in euren Taschen?

Irene: Meine sind leer.

Alex: Meine auch.

Maxim: Ich habe nur ein Plektrum in der Hosentasche.

Ihr spielt morgen schon euer nächstes Konzert, habt ihr dann überhaupt Zeit, heute Nacht ein wenig zu feiern?

Alex: Wir sollten eigentlich nach der Show schlafen gehen...

Irene: Wir werden noch ein wenig tanzen, etwas trinken, aber dann schlafen gehen. Wahrscheinlich wird es hart sein, Maxim vom Feiern abzuhalten. Er ist unser Partylöwe (alle lachen).

Vlad: Ich freue mich erstmal auf die anderen Bands. Auf Sport aus Frankreich und vor allem auf die erste Band, Andalucía. Sie sind schüchtern und haben viel Energie dabei. Das mag ich.

Als ich schließlich eine alte KIEW-Spiegelreflexkamera auspacke, um der Band mitzuteilen, dass ich sie gerne damit fotografieren würde, sind alle hellauf begeistert. Das russische Gemurmel ist groß und euphorisch. Vor allem Maxim und Vlad interessieren sich für Fotografie und für alte Kameras, was man den eigenen Fotos der Band ansieht. Vlad schlägt vor, für ein perfektes Foto unbedingt in den Backstage-Bereich zu gehen, weil dort das beste Licht ist.

Als wir in einem Raum ohne Fenster und ohne Neonröhren, dafür aber mit zwei hübschen Stehlampen, die für eine gemütliche Atmosphäre sorgen, ankommen, muss ich lachen. Wir wagen dennoch ein paar Bilder. Schön sind sie geworden, viel zu erkennen ist darauf leider nicht. Zur Sicherheit gehen wir doch nochmal runter in die Küche, in der die Band bestmöglich mit großen Suppenkellen und Topfdeckeln posiert. Wenn die Schärfeeinstellung der Kamera funktioniert hätte, wäre das ein perfektes Foto geworden. Vlad fragt nochmals nach, wie das in Deutschland mit dem Entwickeln der Filme sei, da es in Russland sehr kompliziert und teuer ist, einen Film entwickeln zu lassen. Da hilft wohl nur häufigeres Touren in Deutschland, während dessen man die Filme entwickeln lassen kann.

Dann trennen sich unsere Wege, da gleich die erste Band spielen wird, die wir alle sehen wollen. Das Konzert von Motorama wird großartig. Von abgebrochenem Mikro über abgerissenes Gitarrenband gibt es allerhand Dinge, die es der Band schwer machen. Die bleibt aber souverän. Keyboarder Alex sieht, mit Eastpak auf dem Rücken in die Tasten hauend, besonders verstörend souverän aus. Als ich ihn später frage, warum er den Rucksack beim Konzert nicht abgenommen hat, sagt er: "Einfach so, ich dachte, es hilft, um hinter dem Keyboard aufzufallen!". Das hat es tatsächlich, auch wenn doch Vlad und Irene in der ersten Reihe das Publikum am meisten in den Bann zogen.

Marlena Julia Dorniak

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