Interview
Lucero
Ihr habt eine ganze Weile keine richtige Europatour gespielt. Wie kommt das?
Ben Nichols: Hmm, ja, letztes Jahr haben wir zwar ein, zwei Deutschlandshows gespielt, sonst waren wir aber vorrangig in UK. Europa war immer etwas schwierig für uns. Wir hatten hier nie einen vernünftigen Vertriebspartner und fangen gerade erst an, uns überhaupt ein Publikum zu erarbeiten. Unsere Platten werden mittlerweile veröffentlicht, also hoffen wir, auch bald zurückkommen zu können.
Mexiko muss für euch ja auch schwierig sein: Es gibt eine mexikanische Dancepop-Sängerin namens Lucero, mit der ihr verwechselt werden könntet.
Ben: Da waren wir auch noch nie. Das trifft auf ganz Südamerika zu, obwohl wir beispielsweise aus Brasilien auch schon Nachrichten bekommen haben, dass man uns dort gerne einmal sehen würde.
Brian Venable: Sie kann Mexiko also haben.
Normalerweise spielt ihr ja extrem lange Shows. Wie könnt ihr das auf einen halbstündigen Supportslot kürzen?
Ben: Wir haben immerhin 40 Minuten! Naja, wir spielen jeden Abend andere Songs, abgesehen von einigen wenigen, die wir immer spielen.
Brian: Wir haben ja auch schon vor Social Distortion oder bei der Warped Tour gespielt, da haben wir das gleiche Problem. Auch bei zweistündigen Shows ist es aber schwer, alles reinzubekommen – wir haben ja acht Alben und mehr als hundert Songs. So wird beispielsweise "Rebels, Rogues And Sworn Brothers" recht oft vernachlässigt.
Mir fehlt auf manchen Setlists die Abwesenheit von "1372 Overton Park"-Songs auf, was mich darauf schließen ließ, dass ihr auf Tour oft keine Bläser dabei habt. Von denen leben diese Songs ja.
Ben: Oh, in den USA haben wir eigentlich meistens Bläser dabei. Diesmal haben wir sie zuhause gelassen, aus Kostengründen, aber nächstes Mal kommen sie hoffentlich auch mit.
Ihr und Frank Turner – das ist ja auch eine interessante Kombination. Wie kam es dazu?
Brian: Wir haben ihn getroffen, als wir mit Social D unterwegs waren. Da waren eine ganze Menge Bands dabei – außer uns und Social D zum Beispiel eben noch Frank Turner oder Chuck Ragan. Da haben wir gemerkt, dass es einen Pool an Bands gibt, die ein ähnliches Publikum anziehen, da hat es einfach Sinn ergeben. Vor Social D hatten wir noch nie etwas von Frank Turner gehört, dann aber gesehen, wie gut wir zusammenpassen. Jetzt mit ihm, der hierzulande ja auch recht bekannt ist, zu touren, hilft uns natürlich auch sehr.
Trotz dieses ähnlichen Publikums dachte ich mir, dass die Kombination aber besonders interessant ist, weil Frank Turner nun wirklich britischer als britisch wirkt, während euer Sound sehr amerikanisch ist. Aber gibt es das überhaupt – einen "amerikanischen" Sound?
Ben: Es gibt in amerikanischer Musik ja schon eine große Vielfalt, aber wir sind ja beispielsweise aus Memphis und haben uns gerade auf den letzten Alben sehr auf diesen Memphis-Sound konzentriert. Wir haben probiert, viele Elemente aus dieser reichen Geschichte zu integrieren, wodurch der Sound wirklich amerikanisch geworden ist. Damit meine ich unter anderem Roots-Musik, außerdem haben wir ja auch Rick Steff dabei, der auf alle möglichen Arten und Weisen Klavier spielen kann. Rock 'n' Roll ist in Memphis natürlich ein großes Thema, ebenso sorgt unsere Bläser-Abteilung für einen recht deutlichen Soul-Anteil. Wir haben ja ursprünglich mit einer starken Country-Betonung angefangen, so haben wir eigentlich von allen Anteilen etwas dabei.
Brian: Es ist auch wirklich schwer, von einem "amerikanischen" Sound zu sprechen – man kann ja Bruce Springsteen und den New-Jersey-Sound auseinanderhalten, Southern Rock, den kalifornischen Stil...Das darf man nicht vergessen.
Zu dieser Country-Betonung seid ihr auf eurer aktuellen EP ja etwas zurückgekehrt. Ist das nur ein "Umweg" oder kann man weiterhin eine Rückkehr zu diesem Stil erwarten?
Brian: Ich würde es nicht Umweg nennen, aber wenn man als Band so lange existiert wie wir – uns gibt es ja auch schon 15 Jahre – ist es schön, bestimmte Schemata einfach einmal ändern zu können. Ben schreibt ja auch gerne traurige Songs.
Ben: Wir sind eben nicht in einem bestimmten Sound gefangen – es ist ja nun auch nicht so, dass wir auf einmal eine komplette Akustikscheibe aufgenommen hätten. Aber wir haben uns eben diesmal auf Akustikgitarren konzentriert, da wurde der Sound automatisch etwas sanfter. Klar, vielleicht geht es in der Zukunft weiter in die Richtung – vielleicht wird es auch wieder schneller Rock. Es kommt immer darauf an, in welche Richtung die Songs selbst streben.
Apropos traurige Songs: Verlassen und verlassen werden scheinen ja deine Lieblingsthemen zu sein.
Ben: Ich schätze mal, dass mich solche Songs über gebrochene Herzen schon immer irgendwie angesprochen haben. Aktuell gibt es ja auch recht wenig politische Songs, so etwas sprechen wir höchstens von unseren persönlichen Standpunkten aus an. Da geht es dann zum Beispiel um unsere Großväter oder andere Männer, die in den Krieg ziehen mussten. Ich schreibe eben am liebtsen persönliche Lieder.
Brian: Um wieder zum Thema "amerikanische Musik" zurückzukommen, siehe erstes Springsteenalbum: Was Amerika ja auch ausmacht, ist, dass das Land so groß und weit ist, dass Gedanken wie "Ich muss hier raus" oder "Ich bin on the road" eben öfter kommen, während zum Beispiel in den UK alles nur gefühlte zwei Stunden weg ist. Die Aussicht, ständig einen Neuanfang machen zu können und der Slogan des Manifest Destiny sind eben auch sehr typisch für Amerika.
Ist das Thema mit den Jahren relevanter geworden? Zumindest in Deutschland müssen Leute weitaus öfter für Arbeitsstellen ihren Wohnort wechseln als in der Vergangenheit, wo viele ihr Leben dort verbrachten, wo sie auch geboren wurden.
Ben: Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in Amerika wirkt es wirklich mehr und mehr so, dass Menschen ihr Leben lang unterwegs sind. Dies hängt ja auch mit dem Thema Freiheit und der Jagd nach einer Art Traum zusammen.
Brian: In Amerika kann man sein Leben einfach so schnell von Grund auf ändern und ein komplett neuer Mensch werden, auch wenn man niemanden kennt.
Ben: Aber wenn es um Songs geht, in denen die Mädels abhauen: Ja, davon haben wir so einige, das ist aber ja auch sehr universell.
Eine Ehefrau müsste es doch sehr nerven, wenn der Mann immer nur von verflossenen Liebschaften singt.
Ben: Mag sein, aber ich bin nicht verheiratet. Doch wenn ich einmal heiraten sollte, wird die Frau damit schon umgehen müssen – aber anders wird sie mich ja auch nicht kennengelernt haben. Wer mich lange genug kennt, um mich zu heiraten, sollte das auch nicht mehr persönlich nehmen.
Brian: Oder du musst ihr eine neue Küche oder ein neues Badezimmer kaufen, damit sie dich in Ruhe solche Songs schreiben lässt.
Ben: Die Beziehung, in der ich gerade stecke, ist sehr aufreibend. Die neue EP handelt auch stark davon und sie wird wohl noch die Grundlage für manche andere Songs sein.
Glaubst du, man muss eine bestimmte Menge Probleme oder Trauer in seinem Leben erlebt haben, um wirklich bedeutungsvolle Lieder schreiben zu können?
Ben: Nicht unbedingt! Ich denke, wenn man als Schreiber gut genug ist, bekommt man das auch so hin. Mich persönlich bringt das Songschreiben aber durch schwere Tage, Einsamkeit und Depressionen. Das Schreiben ist gesund für mich. Ich habe auch schon probiert, über andere Menschen zu schreiben, das tat ich auf meinem Soloalbum auch gerne, aber ich komm einfach nicht darum herum, Herzschmerzsongs zu schreiben, weil diese Themen auch ständig in meinem Kopf herumschwirren. Daher wirken sie auch machtvoller.
Mal eine thematische 180°-Wende: ich habe mir neulich das sehr amüsante Musikvideo zu "Women & Work" angeguckt, in dem ihr feiert und einen alten Van zerstört. Ihr habt das Album doch nur so genannt, um dieses Video drehen zu können, gebt's zu!
Ben: Ha! Das Video zu drehen, hat echt Spaß gemacht. Das ganze Album "Women & Work" ist in emotionaler Hinsicht nicht so intensiv wie manche ältere Songs, wir wollten mit dem Album einfach eine spaßige Rockscheibe aufnehmen, die Bläserabteilung und die Orgel mal so richtig ausreizen. Mit dieser Art Van hatten wir eine lange Hass-Liebe-Beziehung. Es war daher recht therapeutisch, das Ding einfach zu zerstören. Wir haben mit diesem Ding 300.000 Meilen zurückgelegt, dann ist er zusammengebrochen. Es war aber billiger, einen anderen Van zu kaufen und zu zerstören, als den eigentlichen Van zum Drehort zu bringen, weswegen wir das dann getan haben.
"Women & Work", nun die EP "Texas & Tennessee"... Du magst Aufzählungen, oder?
Ben: Scheinbar schon! Darüber habe ich schon nachgedacht, ich mag den Klang.
Denkst du in Gegensätzen?
Ben: Vielleicht, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich weiß auch nicht, woher ich "Women & Work" habe – klingt wie ein Bukowski-Titel, ist es aber nicht, soweit ich weiß. "Texas & Tennessee" hat eine ganz besondere Bedeutung – wir wohnen in Tennessee, meine Freundin in Texas, und nun in Kalifornien. Wir sagen oft auf der Bühne, dass "Women & Work" von Whisky handelt – "Texas & Tennessee" handelt von Kalifornien. Solche Titel passieren einfach.
Letzte Frage: Ich habe bei Wikipedia gesehen, dass es eine Schafrasse gibt, die "Lucero-Schafe" heißt. Wenn diese Schafe nach euch benannt wären – was wäre der größte Unterschied zwischen ihnen und anderen Schafen?
Ben: (lacht) Übernimmst du diese Frage?
Brian: Ach, du schlägst dich doch gerade so gut.
Ben: Ich weiß auch nicht. Unsere Schafe können wahrscheinlich mehr Whisky trinken.
Brian: Und dreckiger sein.
Ben: Genau, dreckiger sein und schlechter riechen auch. Mit der Wolle könnte man bestimmt nichts anfangen.
Die Whisky-Sache war sehr vorhersehbar.
Brian: Wahrscheinlich. Wenn diese Schafe verloren gingen, würde sie auch keiner suchen.
Ben: Es wäre allen KOMPLETT egal.
Vielleicht sollte es einfach Luceroschaf-Burger geben.
Ben: Nein, dann würde ich mich schlecht fühlen. Das wäre etwas kannibalisch. Ich würde zuhause eine Farm kaufen und die Schafe dort hüten: "Niemand isst DIESES Schaf, klar?"
Brian: Genau, und dann verkaufen wir sie am Merchandisestand.
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