Interview

LNZNDRF


Es ist noch eisig, nass und kalt in Berlin, als wir Scott und Bryan Devendorf neben einem noch unentzündeten Kaminfeuer im Vorraum der Berghain Kantine treffen. Die Brüder, die mit Ben Lanz die Band LNZNDRF bilden, das Krautrock-Seitenprojekt ihrer Hauptbands The National und Beirut, sind gut gelaunt und angenehme, spannende Gesprächspartner. Später am Abend spielen sie die zweite von drei Shows in Berlin. Ein Zeitlimit für das Gespräch gibt es nicht, und so entwickelt sich mit ein paar Notizen, viel Interesse und Spontanität ein munterer Plausch mit zwei witzigen Brüdern, die großen Spaß an Musik haben.

Ich habe gelesen, dass eure Band 2011 gegründet wurde. Aber die Platte erscheint erst jetzt. Warum?

Scott: Nun, jetzt hatten wir endlich die Zeit, sie zu machen. Vorher haben wir nur einen kleinen Haufen Shows gespielt, haben einfach nur existiert. Jetzt gab es eine Lücke in unserem Zeitplan, Ben war gerade auch Beirut-frei, und dann haben wir es einfach mal gemacht.

Ah – also habt ihr zuvor schon Shows gespielt?

Scott: Ja, haben wir. Aber vor der Platte waren sie einfach nur halbstündige Improvisationen, aneinandergereiht, Jam-Sessions für uns und vor Freunden. Die Platte gibt unseren Shows jetzt eine Art Struktur.

Wenn ihr vorher nur gejammt habt, wie kamt ihr dann an den Punkt zu sagen: Diese acht Songs – das wird unsere Platte?

Scott: Keine Ahnung. Ich glaub ungefähr alles hätte unsere Platte werden können.

Bryan: Es kam auf eine Art einfach organisch zusammen. Irgendwann war es einfach da. Es war schräg. Ich lebe in Ohio, die anderen in New York. Wir haben also in Ohio aufgenommen, die anderen sind zurück nach New York gefahren, haben bearbeitet, Overdubs aufgenommen, ich habe einige Teile gehört, an denen Ben gearbeitet hat. Wir haben etwa eine Show in Colorado gespielt kurz nach den Aufnahmen. Es gab eine Menge zusammengestückelter "Momente", an denen in verschiedenen Kontexten gearbeitet wurde. Textfetzen, Gitarrenparts, und irgendwann fügte sich das wiederum zu dem bereits Aufgenommenen hinzu, zu einem Punkt wo wir dachten: "Wow, das klingt echt gut." Es fühlte sich an, als wäre es genau so gedacht gewesen – war es aber nicht. Auf eine Art haben wir einfach gewürdigt, was da war. Und das ist dann organisch zu diesen acht Songs geworden.

Scott: Auch beim Mixen haben wir noch ein paar kleine Keyboard-Sachen eingespielt und viel rumgebastelt. Effekte hinzugefügt, Delays, Hall; Dan, der das Mixing gemacht hat, hat auch noch etwas beigetragen.

Habt ihr auch Live-Aufnahmen verwendet?

Bryan: Es gibt Live-Aufnahmen, aber wir haben sie hier nicht verwendet. Aber irgendwann basteln wir etwas daraus. Zum Beispiel aus den Aufnahmen aus Colorado.

Ich hatte diesen Eindruck vorher, und jetzt habe ich ihn noch mehr: Dies ist ein Projekt, und eine Platte, bei der es um den Prozess des Aufnehmens an sich geht. Musik machen, Klänge entdecken, wie ein großer Spielplatz für Musiker.

(Gelächter)

Bryan: Das ist ein Slogan für Bob Weirs (Grateful Dead, Anm. d. Autors) Studio ("Playground for musicians", Anm. d. Autors). Aber du hast recht, genau so ist es.

Das ist auch ungefähr das, was ihr gerade macht. Ihr spielt drei Shows in Berlin, dann drei in New York. Das wirkt so, als würdet ihr das einfach nur für euch machen. Keine richtige Tour, sondern einfach ein paar Shows, weil ihr Lust darauf habt.

Scott: Ja, und das ist einfach gemütlicher. Und viel entspannter, als immer über Nacht zu reisen.

Und warum genau in Berlin?

Scott: Auf eine Art ist es das spirituelle Zuhause unserer Musik. Viel der Geschichte von Krautrock und diesem ganzen Zeugs kommt aus Deutschland. Es fühlt sich richtig an, hier zu spielen.

Bryan: Und dann ist hier auch einfach eine sehr gute Infrastruktur für Live-Musik. Viele Venues der passenden Größe für uns, viele junge Menschen, die zu Shows gehen. Berlin ist einfach eine Stadt, in der wir immer gern sind.

Witzig, dass ihr über den Spirit hier sprecht. Vor einem Monat habe ich Michael Rother (Neu!, Anm. d. Autors) in der Volksbühne gesehen...

Bryan: Ohhh, wow!

Scott: Wir haben gestern noch in der Volksbühne gespielt, im grünen Salon.

... und danach habe ich "Beneath The Black Sea" gehört. Der Song, mit seinem Gitarrenlick, hat mich in genau die selbe Stimmung gebracht wie das Konzert.

Scott und Bryan: Nice!

Das brachte mich dazu zu fragen, was die genauen Inspirationen – musikalisch – für die Platte waren. Manche sind offensichtlich – klar – manche nicht so.

Bryan: Natürlich Neu!, Harmonia, dann Brian Eno, Kraftwerk, Stereolab.

Aber wie tief sind diese Einflüsse in euch verwurzelt?

Scott: Schon ewig. Das ist Musik, für die wir schon seit langer Zeit eine Leidenschaft teilen.

Bryan: Jeder von uns hat seine individuelle Art, diese Musik zu verarbeiten. Was mich am meisten fasziniert, sind die statischen, mitreißenden Rhythmen, diese Motorik.

Zum Beispiel "Hallogallo", der erste Song der ersten Neu!-Platte.

Bryan: Genau dieser Song. Das ist wohl meine Hauptinspiration. Das ist Wahnsinn. Es gibt kleine Variationen, aber eigentlich ist es dieser eine, statische Beat. Ich hab sogar selbst einige Schlagzeugvariationen dafür transkribiert – da dadada (macht den Beat nach, Anm. d. Autors).

Ich komme ursprünglich aus Düsseldorf, wo viel dieser Musik herkommt. Ich bin also auf eine Art damit aufgewachsen, hab aber nie die Besonderheit daran verstanden, bis ich 20 oder so war. Und dann gab es irgendwann einen Wow-Effekt.

(Schmunzeln)

Bryan: Aber zum Beispiel Yo La Tengo ist ebenfalls eine große Inspiration. Sie haben auch eine Menge Drones; repetitive Sounds, ich liebe ihr Drumming. Georgias Stil mag ich sehr.

Es ist immer interessant, wie sie die Balance zu ihren Melodien halten. Diese Repetitionen, die Drones, das steht selten im Vordergrund. Ich hab sie im Oktober auf ihrer Akustiktour in Berlin gesehen, das war interessant. Da standen mehr die Melodien im Vordergrund.

Bryan: Hat Georgia dann Gitarre gespielt?

Nein, Schlagzeug. Aber nur Floor Tom, Snare und Hi-Hat glaube ich. Es war eigentlich derselbe Rhythmus, die ganze Zeit.

Bryan: Wie ein Loop. Nice.

Ja, eine großartige Band. Spannend, ich hatte jetzt nicht unbedingt an Yo La Tengo als Inspiration für euch gedacht.

Bryan: Schon. Ich glaube, Ben würde auf jedenfall noch Slint nennen. Und Fugazi.

Scott: Oh ja, Fugazi bedeuten uns auch sehr viel.

War es auch eure Leidenschaft für diese Bands, die LNZNDRF gestartet hat?

Bryan: Ich glaube nicht explizit, aber der Spirit und die Mentalität waren da.

Ihr sagtet einmal, die Stücke auf der Platte seien mehr Fragmente, die euch in eine bestimmte Stimmung, an einen bestimmten Ort bringen. Ich habe mich gefragt, wie wichtig die Gesamtästhetik des ganzen Projekts, vor allem in Zusammenhang mit den Visuals, ist?

Scott: Ich glaube, wir haben es ernst genug genommen, um auf der Bühne unsere eigenen Maleranzüge anzuziehen (Die Band tritt in Blaumännern auf, Anm. d. Autors).

(Gelächter)

Bryan: Das war einfach nötig! Wir hatten keine Wahl!

Scott: Alles andere ist einfach passiert. Wie mit den Aufnahmen: "Oh, lasst es uns mixen. Oh, lasst es uns veröffentlichen. Jetzt haben wir die Songs. Lasst uns Blaumänner anziehen!"

(Gelächter)

Scott: Im Ernst, all das ist auch einfach ad hoc passiert, als es gerade gebraucht wurde.

Bryan: Nein nein, Quatsch! Alles war extrem durchdacht! Von vorne bis hinten!

(Gelächter)

Okay, wir halten fest: Es war kein Konzept. Es ist einfach passiert.

Bryan und Scott: Yeah!

Ist es auch eine Art Befreiung davon, bei The National zu spielen, sozusagen "einfach mal zu machen"?

Bryan: Als erstes war da überhaupt kein Druck, klar.

Scott: Es gab nichtmals die Intention, eine Band zu sein. Oder eine Platte zu machen. Geschweige denn, dass jeder auf die nächste Platte wartet. Eigentlich wollte das niemand, außer uns, und deshalb haben wirs gemacht. Und wir waren uns eigentlich alle die ganze Zeit einig, wie es sein sollte. "Cool!"; ""Nice!". (Schmunzeln)

Bryan: Manchmal haben wir kurz überlegt, wie wir was machen könnten, aber eigentlich war es entspannt. Unsere E-Mails mit unserem Manager Don waren immer ungefähr so: "Cool! Yeah! Awesome! Let’s do this!". (Gelächter) Wir waren uns immer sehr einig darin, was nun passieren sollte.

Und wie war es dann, die Songs aufzunehmen, im Vergleich? Denn wenn ich über den Aufnahmeprozess von The National lese, wird immer klar, wie viel Mühe euch das kostet.

Scott: Es ist schon ähnlich zu The-National-Aufnahmen, denn normalerweise, wenn wir aufnehmen, existieren die Songs nicht, bis wir alles im Studio zusammenfügen. Bis dahin macht jeder sein Ding. Auf die Art ist es ähnlich – aber bei LNZNDRF sind wir weit weniger raffiniert. Ich meine, wir nehmen kaum zweite Takes auf, wir haben uns wenig zweimal Mühe gemacht (lacht). Aber dann gibt es zum Beispiel auch den Song "Monument". Der Song von Ben existierte als eine Art Struktur, eine Idee davon, was wir machen würden. Dann haben wir eine Menge dazu erfunden, aufgenommen, hinzugefügt. All die anderen Songs haben wir einfach aufgenommen.

Bryan: Wir haben das alles nicht so ernst genommen – es gehört definitiv ein Sinn von Humor zu dieser Band. Wir nehmen die Musik ernst, aber alles andere nicht so. (lacht)

Scott: Wir halten einfach unsere Ohren offen für Sounds, die wir dann zu einer Sache destillieren. Das hier klingt gut, lasst uns das einfach machen.

...und ihr denkt nicht wie bei The National über all die anderen Sounds nach, die jetzt auch gut klingen könnten.

(Gelächter)

Bryan: Genau das.

Scott: Ben zum Beispiel liebt es einfach, mit seinen Pedalen herumzujammen, Sounds zu erzeugen, Klangterritorien zu erkunden. Harmonien sind manchmal auch involviert. Aaron, der live mit uns spielt, spielt auch mit Ben bei Beirut. Er hat unseren Klang nochmal erweitert, experimentiert mit Keyboards herum. Es macht Spaß, mit ihm zu spielen.

Bryan: Er ist sehr leidenschaftlich darin, seinen eigenen analogen Sound zu kreieren.

Wo ihr über den analogen Sound sprecht – habt ihr bei den Aufnahmen auch eine besondere Herangehensweise gewählt?

Bryan: Wir haben Pro Tools benutzt, weil das am einfachsten war. Aber wir haben z.B. spezielle Rhythmus-Mikrophone benutzt. Die Aufnahmen haben wir in einem Studio nah meines Hauses gemacht, ein Ort mit einem guten Vibe, aber auch einfach naheliegend. Es war zu dem Zeitpunkt die einzige Option, also sind wir da einfach hin.

Sprechen wir über euer musikalisches Umfeld. The National, Beirut, all diese Bands, ihr wirkt wie eine kleine Community, habt nun euer eigenes Festival (Eaux Claires, Anm. d. Autors), euren eigenen Spielplatz, um die Dinge, die ihr tut, vorzustellen. Wie funktioniert eure Community?

Bryan: Wie sie funktioniert? Das ist einfach das Universum, unser Platz in der Zeit. (lacht) Nein, im Ernst: In unserer Band sind Aaron und Bryce besser organisiert und connected, halten das Netzwerk zusammen. Wir sind da sozusagen einfach auch dabei. (Gelächter) Wir sind Buddy mit Justin Vernon (Bon Iver, Anm. d. Autors), Sufjan (Stevens, Anm. d. Autors), ich glaube, das kam einfach ganz natürlich darüber, Musik zu spielen. Ben zum Beispiel haben wir getroffen, weil Bryce und Ben auf der Illinoise-Tour von Sufjan zusammen in seiner Band gespielt haben. Bei The National haben wir immer Brass-Parts geliebt, und Bryce wurde ein großartiger Composer und Arranger. Also haben wir Brass-Parts aufgenommen, und dafür war Ben einfach naheliegend; und Kyle (Resnick, Anm. d. Autors), der auch bei Beirut spielt, und mit Sufjan gespielt hat, auch. Das hat sich so gefügt. Wie wir Justin getroffen haben, weiß ich gar nicht. Keine Ahnung. Jetzt aber macht zum Beispiel der Mensch, der das Production Management für uns macht, dasselbe für Justin. Ich glaube, alles was in unserer Community passiert, fügt sich, weil es gut passt. Es ist schon ein Glück, Teil davon zu sein.

Es ist aber auch eine Freude, das zu beobachten. Zum Beispiel als ich gelesen habe, dass ihr das LNZNRDF-Album veröffentlicht, hatte ich keine Ahnung, was das sein würde. Aber ich war mir recht sicher, dass es auf irgendeine Art gut ist, weil es aus dieser Community entspringt.

Scott: Danke!

Es gibt einen großartigen Musiker aus Berlin, er heißt Nils Frahm. Seine Musik mögt ihr sicher sehr, er spielt auch viel mit Klängen, aber auch mit der Stille dazwischen.

Bryan: Ah, der Klavierspieler?

Genau.

Scott: Habt ihr "Victoria" gesehen?

Klar.

Scott: Das ist so ein guter Film.

Hast du ihn hier gesehen?

Scott: Nein, in New York.

Ich habe ihn hier gesehen, und es war viel zu real, danach hinaus in die Berliner Sommernacht zu gehen. Das war beeindruckend.

Beide: Nice.

Jetzt, wo wir über die ganze Zusammenarbeit gesprochen haben, frage ich mich noch, wie die Grateful-Dead-Compilation zustande gekommen ist?

Bryan: Das ist auch etwas, was einfach aus dem Universum kam und das Universum hat dafür gesorgt, dass das alles passiert. (Gelächter) Schritt für Schritt, keine Ahnung wie genau, aber bald ist dieses Riesenprojekt fertig. Scott hat diese Platte mit Bob Weir (Grateful Dead, Anm. d. Autors) gemacht, mein Buddy Josh Kaufman war der musikalische Direktor unserer Sessions mit Bob, und jetzt machen die eine Platte zusammen, und die Compilation aber passierte, weil Aaron und Bryce vor Jahren "Dark Was The Night" gemacht haben, und sich dachten: "Lass uns Grateful Dead machen!". Es hat Jahre gedauert, bis der Idee Taten folgten, aber die Idee war immer da, dass Grateful Dead diese Platte verdienen. Eine Kombination daraus, lebenslanger Fan zu sein und, ja, der ganze Rest, den ich erzählt habe.

Scott: Und jetzt sind daraus 59 Stücke mit endlos vielen Musikern geworden. Grateful Dead haben einfach so viel Material.

Bryan: Man könnte eine Compilation mit 200 Songs machen.

Scott: Auf jeden Fall ist sie gut geworden. Wir sind glücklich damit. Es ist eine große Spanne an verschiedensten Interpretationen – manche Songs klingen total nach Grateful Dead, manche gar nicht. Sehr interessant.

Okay, dann bleibt mir nur noch, euch für das Gespräch zu danken!

Beide: Danke gleichfalls!

Nach dem Interview gehen die beiden erst mal Pizza essen – dafür scheinen sie ihren Stammort in Berlin schon gefunden zu haben. Kurz darauf spielen sie ein Konzert, das noch besser ist als erwartet, und vor allen Dingen um einiges besser als die Platte der Band. Die Entstehung der Band als Jam-Projekt ist klar erkennbar, nach dem Mainset jammt die Band fast genauso lange als Zugabe und beendet so einen gelungenen Abend.

Daniel Waldhuber, Andreas Zimmermann

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Rezension zu "LNZNDRF" (2016)

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