Interview
L.A. Salami
Köln, Studio 672, 18.30Uhr. Soundcheck. L.A. Salami und Band beginnen mit einigem an Verspätung, ihre Gitarren und Verstärker auf der kleinen Bühne des Studio 672, dem Kellerraum des Kölner Stadtgarten, aufzubauen. Grund dafür sind die üblichen Tourplänkeleien. Am Tag zuvor Stand die Show in Berlin auf dem Plan. Stau auf der ohnehin langen Fahrt nach Köln machten das Einhalten des Zeitplans undenkbar. Das geplante Interview muss warten. Nach einer Stunde sind alle Instrumente gecheckt und die vier Musiker bedanken sich mehrmals für den fantastischen Sound auf der Bühne. Knapp 4,5 Stunden später wird L.A. Salami an selber Stelle nach einer atemberaubenden und durchweg überzeugenden Show das unersättliche Publikum mit einer Zugabe beglücken.
19.30 Uhr: L.A. schlurft aus dem Backstage – mit hängende Schultern und Müdigkeit in den Augen. Motivation sieht anders aus, aber auch er ist sich dem Tour-Alltag und den zwangsläufig anfallenden Promo-Auftritten bewusst. Business as usual. "Do you mind if I smoke?", ist die erste Frage. Natürlich nicht, Mister Salami. "Do whatever you want to do." Nach kurzer Suche nach einem geeigneten Ort erscheinen die Bänke draußen an der Sonne im Vorgarten der Location passend. Mit am Tisch sitzt Mary Jane.
Das L.A. im Namen steht für Adekunle Lookman. "The City Of Bootmakers" ist die zweite Platte des britischen Singer-Songwriters, mit der er nun auch hierzulande einen ersten Durchbruch mit ausverkauften Shows und sehr positiv ausfallenden Kritiken feiert. Der Name Bob Dylan ist einer, der in diesen häufig zu lesen ist. Dass das nicht von ungefähr kommt, zeigt nicht nur die farbenfrohe Collage, die das LP-Cover schmückt, sondern wird auch schnell beim Hören der Songs deutlich. Scharfsinnig und wortreich dokumentiert L.A. Salami in dylanesker Manier seine Lebenswelt, wie es nur jemand kann, der selbst über ein gewisses Reflexionsbewusstsein verfügt und sich seiner Rolle in dieser Welt bewusst ist. Vor den vermeintlich großen Themen scheut er nicht zurück. Diese bedingen schließlich das Private, genau wie umgekehrt. Und so erzählt er vom großen Ganzen durch simple Gegebenheiten, durch Begegnungen mit Fremden und Erfahrungen aus dem Alltag. Der Blues als Rückgrat, alles andere als Optionen: Klassisches Singer-Songwriter-Handwerk, Soul und Indierock gepaart mit dem Geist der 60er, irgendwo zwischen Bob Dylan und The Strokes.
L.A. ist sich seiner Umwelt bewusst. Mit "England Is Unwell" und "Terrorism! (The ISIS Crisis)" befinden sich gleich zwei Songs auf dem Album, die die derzeit politisch und gesellschaftlich schwierige Situation in seinem Heimatland thematisieren. L.A. selbst würde seine Songs jedoch nicht als politisch auffassen. "Für mich sind diese Songs nicht politisch. Sie sind emotional. Quasi das Äquivalent zu einem Liebeslied. Es sind einfach die Themen, die mich beschäftigen." So wird für L.A. das Politische zum Privaten und die Grenzen zwischen diesen fließend, da das eine stets das andere beeinflusst.
Als Kulturschaffende sehen sich im Jahr 2018 viele dazu verpflichtet, ihre Stimme zu sozialen und politischen Themen zu erheben. Man denke da nur an diverse Aktionen im Vorfeld der letzten US-Präsidentschaftswahl, der #metoo-Debatte oder auch der Forderung nach schärferen Waffengesetzen in den USA. Als verpflichtend sieht L.A. dies jedoch nicht, ungeachtet des Einflusses und der Vorbildfunktion, die Musiker auf andere, besonders jüngere Menschen und Fans, ausstrahlen können. "Ich denke, wenn du in so einer Position bist, hast du die Wahl, dich zu solchen Sachen zu äußern. Man muss die Person für sowas sein. Ich würde nicht erwarten, dass Cardi B politisch wird."
Dass man aufgrund des Künstler- oder Musikerdaseins nicht automatisch eine vorurteils- und diskriminierungsfreie Weltsicht hat, beweisen uns nicht nur Morrissey oder Jesse Hughes von den Eagles Of Death Metal regelmäßig mit fragwürdigen Position zu Themen wie Migration oder auch Waffenbesitz. "Trap Musik zum Beispiel. Da geht es nur um Kokain, Ficken und wie reich man ist. Gewisse Themen sind einfach nicht in deren Gedanken präsent." Einfluss auf andere zu haben bedeutet Chance, aber umso mehr auch Verantwortung. Als in der Öffentlichkeit stehende Person sollte einem bewusst werden, dass Fantum abstruse Züge annehmen kann und Leute einem zuhören, zuschauen und nacheifern, ob man will oder nicht. Zu welchen Themen wie Stellung genommen wird, sollte also gut überlegt sein. Ist es jedoch oft leider nicht, denn auch in der Öffentlichkeit stehende Person sind halt auch nur Personen. "Ich erwarte nicht, dass sich jeder politisch äußert und einsetzt. Ich schreibe das, weil es meine Perspektive auf die Welt ist. Wenn andere das genau so sehen – toll! Ich denke, dies ist der Punkt, der einen Song politisch werden lässt: Wenn andere sich darin wiederfinden, wie in einem Protestsong beispielsweise. Jedoch da, wo es herkommt, da muss es einen persönlichen, emotionalen Kern haben. Man kann sowas nicht geplant schreiben." Authentizität ist das Stichwort!
Foto-Credit: Dana Kirsch
Am eindringlichsten spiegelt sich L.A.s Sichtweise im zentralen Stück des Albums "Generation L(ost)" wieder. "Wir leben in einer Zeit, besonders die westliche Welt, die die friedvollste ist, die es je gab. Wir hatten nie mehr Sicherheit und nie mehr Wohlstand. Gleichzeitig jedoch werden wir uns des Chaos um uns herum bewusster, da wir besser vernetzt sind. Es scheint, je besser wir weltweit vernetzt sind, desto sturer werden Menschen im Bezug auf ihre Meinung und tun sich schwer damit, anderen zuzuhören und die eigene Sichtweise zu hinterfragen. Das ist gefährlich, da es Grenzen zieht: Grenzen zwischen mir und dir, uns und denen." Einmal getriggert, fällt es L.A. leicht seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und ausschweifend über Gott und die Welt zu philosophieren – wörtlich genommen. Mary Jane hat sicherlich ihren Anteil daran. "Ich denke, hier bei uns im Westen haben wir uns von Gott oder Göttern entfernt. Aber Gott – oder Götter – waren immer eine hilfreiche philosophische, psychologische und politische Stütze für die Gesellschaft. Gott bedeutet immer auch Menschlichkeit. Vom letzten Gott haben wir uns entfernt – jedoch noch keinen neuen gefunden." Die Generation Lost ist folglich die orientierungslose Masse, überfordert mit den Herausforderungen unserer Zeit und sich eskapistisch in Konsum und Hedonismus stürzend. Der Kapitalismus also als der Gott unserer Zeit? "Nein, das ist nicht der Ersatz für Gott. Das passiert, wenn man keinen Gott mehr hat und noch keine Alternative zu diesem Konzept gefunden hat." Wenn L.A. von Gott redet, dann nicht über einen auf einer Wolke sitzenden, alten Mann im weißen Gewand, der über gut und schlecht richtet, sondern vielmehr von der moralischen Orientierung, den der Glaube an etwas Übermenschliches und Transzendentales mit sich bringen kann. Religiös im klassischen Sinn ist L.A. jedoch nicht. "Ich bin nicht religiös, würde mich aber als spirituell bezeichnen. Das heißt nicht, dass ich an einen Gott glauben muss. Ich glaube jedoch an einen "Prime Mover", eine ursprüngliche Kraft. Der "Prime Mover" ist das, was zunächst da war. Das, was uns unser Bewusstsein erst ermöglicht hat. Aber was ist das Bewusstsein überhaupt? Und was ist das Universum?" fragt er, eher zu sich selbst und wohl wissend, dass er ausschweift in seinen Gedanken über den Sinn der Welt, des Lebens und dieses Gesprächs an sich.
L.A. ist auf der Suche, ohne Anspruch fündig zu werden und ohne zu wissen, nach was genau er überhaupt sucht. Jedoch ist er sich bewusst, dass die menschliche Realität nur einen Teil der gesamten Wirklichkeit darstellt und das Irdische nicht alles ist, was es zu erfahren gibt. "Wir wurden alle bereits einmal geboren, haben alle bereits gelebt und sind gestorben – irgendwo in diesem Universum. In dieser Hinsicht glaube ich sogar an Schicksal." Als Vehikel der Wahl, um das Irdische hinter sich zu lassen und neue Sphären zu erkunden, bedient sich L.A. im Werkzeugkasten der fernöstlichen Religionen: der Meditation. "Die Idee dahinter ist, loszulassen, sein Ego hinter sich zu lassen und sich selbst separat von seinen Gedanken zu erfahren. Und einfach sein."
Aber es sind nicht nur politische und gesellschaftliche Themen, die L.A. Salami in seinen Liedern aufgreift. Es sind die kleinen, alltäglichen Begegnungen und Erfahrungen, die den Stoff für sein wortreiches Songwriting liefern. Die Unterhaltung mit einer alten Dame über Sinn und Unsinn des Lebens, die Begegnung mit einem unbekannten Weisen, der später als "The Talisman" auf dem Song "The Talisman On The Age Of Glass" auf dem Album Platz findet, oder einfach ein Besuch in Berlin, wo das Album aufgenommen wurde. "Ich liebe Berlin. Die Zeit dort scheint langsamer zu vergehen. London dagegen ist gehetzt. Vielleicht ist das so eine kollektive psychologische Sache, die wissenschaftlich erklärt werden kann. Die Leute leben in einer Art Blase, die entsteht, wenn man Panik hat, seine Miete bezahlen zu müssen und keine Zeit hat. Oft hasse ich London – oft liebe ich es aber auch."
Köln, Studio 672, 21.30 Uhr: L.A. Salami und seine Band betreten die Bühne. Der Schalter ist umgelegt, von Müdigkeit keine Spur mehr. Ganz in Jimi-Hendrix-Manier mit Hippie-Brille, Generalsuniform und einer großen Portion selbstdarstellerischer Sicherheit eröffnet er den Abend mit den Worten: "Let me introduce you to the Bootmakers". Die "Bootmakers", das ist seine Band (Die übrigens 3/4 der schwedischen Indierock-Band Francobollo darstellt und bereits unabhängig vom "Bootmaker"-Dasein durch Deutschland tourte), ebenfalls im auffälligen Look irgendwo zwischen Trucker und Hipster. Anschließend geht es in einen 10-minütigen Blues-Jam gefolgt von 1,5 Stunden exzellenter Livemusik.
Realität, Gott und das Universum spielen gerade keine Rolle. Im Hier und Jetzt steht L.A. auf der Bühne des Studio 672 in Köln. Mit der Gitarre in der Hand erzählt er aus seinem Leben, seiner Welt – unserer Welt – wie er sie wahrnimmt und erfährt. Und durch diese kleinen, alltäglichen Gegebenheiten ist das große Ganze dann doch irgendwie immer präsent, selbst in den privatesten Momenten.
Foto-Credit: Dana Kirsch
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Rezension zu "The City Of Bootmakers" (2018)
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