Interview

Kid Simius


Wenn Kid Simius live seine Musik zum besten gibt, steckt er voller Euphorie und guter Laune. Genauso ist es auch im Interview – sogar, wenn es viel zu früh am Sonntagvormittag statt findet. Kein Grund, nicht viel zu lachen und von musikalischen Vorbildern, anstehenden Projekten, und Tipps, wie man den Kopf frei bekommt, um auf der Bühne 100% geben zu können, zu erzählen.

José Antonio García Soler ist ein fröhlicher und liebenswerter Mensch. Auch, wenn es 11 Uhr morgens am Sonntag ist, was – sagen wir mal – ein ziemlich absurder Zeitpunkt für ein Interview ist. Aber wir machen das Beste daraus. Wir sitzen entspannt im Backstage-Bereich des Ringlokschuppen in Bielefeld, wo er am Abend im Vorprogramm und in der Liveband von Marsimoto spielen wird, essen Kekse, trinken Kaffee und quatschen dabei.

Die Nacht war kurz für José. Aber nicht, weil er wild gefeiert hat, sondern weil er Filme geguckt und ferngesehen hat. Wie zum Beispiel eine Debatte über die anstehenden Wahlen in Spanien, oder "The Last King Of Scotland", einen Film über einen Diktator in Uganda. José interessiert sich für politische Zusammenhänge, erzählt euphorisch von dem, was er gesehen hat. So kann er auch die Frage der letzten interviewten Band klar für sich beantworten. "Was ist das Ekligste auf der Welt?" hatten Sizarr gefragt. "Alles, was nicht in Ordnung ist, auf der Welt, finde ich eklig. Gewalt, alles, was unfair ist."


Photo Credit: Elisabeth Moch

In der Vorbereitung auf das Interview bin ich für meinen Teil auf eine Sache gestoßen, die ich ziemlich eklig fand, José aber keinesfalls: im Super Iberico, seinem Lieblingssupermarkt in Berlin, in dem es spanische Spezialitäten gibt, kauft José gerne Dosen mit eingelegten Stierresten ein. "Ich bin damit aufgewachsen, für mich ist das normal. Du musst das mal probieren! Wenn du nicht wüsstest, was es ist, würdest du es wahrscheinlich mögen! Es ist geil!" sagt er, und lacht dabei.

José braucht nicht lange zu überlegen, bis er eine eigene Frage für das Interviewbuch hat. Er erzählt aufgeregt eine Geschichte, in der ein Flugzeug abstürzt und alle Menschen sterben. Allein die Blackbox bleibt unbeschadet. Könnte man nicht aus dem Material, aus dem die Blackbox gebaut ist, ein Flugzeug bauen, um Menschenleben zu retten? Das schreibt er als Frage auf. Obwohl er sich das wünschen würde, glaubt José selbst nicht daran, dass es funktionieren würde. Denn das Flugzeug wäre einfach zu schwer, um fliegen zu können. Dennoch ist es ein schöner Gedanke.

Für das Video zu "Hola Chica" hat José sich seine Freunde geschnappt, darunter auch Marten (Marsimoto / Marteria) und Kai (K-Paul) und mit ihnen mit dem niedrigsten Budget ein großartiges Video im Telenovela-Style gedreht. "Ich bezahle die Videos selbst, da muss ich mit wenig Geld auskommen. Aber man braucht einfach nur gute Ideen. Telenovelas sind etwas absolut Spanisches, der Song "Hola Chica" passt super dazu. Wir konnten uns keine Schauspieler leisten, was nicht schlimm ist, da in Telenovelas die Schauspieler immer sehr, sehr schlecht sind. Da hat das gut gepasst, dass einfach meine Freunde mitgespielt haben. Wir haben das Video in einem Möbelhaus gedreht. Wir brauchten verschiedene Szenarios, es war also perfekt, dass wir das dort drehen konnten, wo schon alles aufgebaut war. Aber darum sieht man die Preisschilder an allen Dingen, wenn man mal genau hin schaut."

José ist seit Jahren in der Livecrew von Marteria/Marsimoto dabei – er und Marten sind gute Freunde und unterstützen sich, wo sie können. Musikalisch helfen sie sich gegenseitig aus, haben aber kein eigenes gemeinsames Projekt, dem sie nachgehen. Dafür hat José aber mit anderen Freunden eine Flamenco-Band gegründet, mit elektronischen Einflüssen, versteht sich. "Ich komme aus Andalusien, wo Flamenco her kommt, darum habe ich so etwas wie eine Verantwortung, um Flamenco weiter leben zu lassen. Ich will ihn in die elektronische Welt holen, habe dabei aber viel Respekt vor Flamenco und viel Respekt vor der elektronischen Musik."

José wirkt, als stecken in ihm 1000 Ideen und Pläne und als bräuchte er immer wieder einen neuen Kick. Wie verschafft er sich den eigentlich? "Ich brauche immer wieder neue Musik. Ich bin begeistert von Musik, die ich höre. Ich komme mir immer wieder wie ein Amateur vor. Ich bin realistisch und weiß, dass ich im Prinzip noch gar keine Ahnung von Musik habe. Ich kann noch so viel lernen und kann noch so viele neue Welten entdecken. Ich mag es, neue Menschen kennen zu lernen, dadurch bekomme ich ganz viel Input."

Wenn ihn Musik überrascht und begeistert, dann geht er dazu genauso ab wie zu seiner eigenen Musik. Zuletzt hat ihn die Jamie-XX-Platte total gepackt, aber genauso ursprünglicher Flamenco. "Auch, wenn es viele traurige Flamenco-Stücke gibt, so saßen die Zigeuner früher oft bis morgens in der Kneipe zusammen und haben gespielt und gesungen. Da sehe ich eine Parallele zur heutigen Clubkultur und tanzbarer Musik. Das passt gut für mich zusammen."


Photo Credit: Elisabeth Moch

Seit dieser Tour ist José zusammen mit seinem Bruder Miguel García Soler (The Pimientos) unterwegs. Die beiden haben sich 15 Jahre lang ein Zimmer geteilt, sind es also gewohnt, viel Zeit miteinander zu verbringen. Der kleine Bruder musste auch bei den ersten Aufnahmen mithelfen. Wenn José allerdings seine Ruhe haben wollte, verzog er sich ins Bad, spielte auf einem Wischmopp Gitarre und sang lauthals dazu. Wenn die beiden Brüder beide Musik machen, wurden sie dann von ihren Eltern musikalisch beeinflusst? "Nein, das nicht. Ich habe irgendwann bei meiner Oma zu Hause bei den Sachen meiner Tante die Pink-Floyd-Biografie und eine Gitarre gefunden. Da habe ich von den ganzen Drogengeschichten gelesen, die die in den 70er Jahren gemacht haben. Irgendwann war ich auf einem Lou-Reed-Konzert und habe mir noch mehr Biografien durchgelesen, von Velvet Underground, Nirvana und so weiter. Dabei habe ich viel vom Lebensstil und von der Lebensphilosophie dieser Musiker gelernt. Früher gab es noch nicht diese kommerzielle Angst, nicht genügend Platten zu verkaufen. Es ging vor allem darum, sich selbst auszudrücken. Leider ist es heute schwierig, Musiker zu finden, die außergewöhnlich sind und sich was trauen, in unserer Pop-Welt." Zum Glück traut sich José, das zu machen, worauf er Lust hat, und das macht er gut und mit unendlicher Energie und Euphorie.

Gleich nach dem Interview geht es für die ganze Marsimoto-Crew zum Sport. "Wir wollen ja fit bleiben, sonst geht es irgendwann Berg ab, so wie bei den anderen!" sagt Marten und lacht. Der ist im Marsimoto-grünen Jogginganzug rein gekommen, um José zum Sport abzuholen. Das Sportprogramm ist zwar hart, tut José aber gut, erzählt er: "Sport machen ist total gut für den Kopf, gerade, wenn man viel zu tun hat! Wenn man vor so vielen Leuten auf der Bühne steht, muss man einen sehr ruhigen Kopf haben, um konzentriert zu sein und Bock zu haben. Da hilft Sport." Wenn man Kid Simius live sieht, hat man das Gefühl, dass er 100% da ist und seine Musik total abfeiert. "Es ist eine große Verantwortung, seine Musik live zu präsentieren. Ich habe einen großen Respekt vor der Musik und vor den Menschen, die kommen. Ich möchte das für die Leute gut machen und versuche es so ernst zu nehmen, wie es geht. Aber gleichzeitig nehme ich mich selbst auch nicht wirklich ernst", sagt er und grinst. Schön, dass er seine Sache gut macht, sich dabei aber selbst nicht zu wichtig nimmt.

Marlena Julia Dorniak

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Rezension zu "Wet Sounds" (2014)

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