Interview

Esben And The Witch


Valentinstag! Für manche der Tag, um die Liebste mit Pralinen und Blumen zu überschütten – für uns die Gelegenheit, uns mit Esben & The Witch zu treffen, die sich so gar nicht auf das Schöne im Leben zu konzentrieren scheinen. Oder vielleicht doch?

Hey! Habt ihr eure Valentinstagsgeschenke schon bekommen?

Rachel Davies: Oh, das ist heute, stimmt's? Wir sind so sehr mit dem Touren beschäftigt, da bekommt man meistens nicht einmal mit, welcher Wochentag gerade ist.

Ihr habt ja in letzter Zeit sehr viel Erfolg genossen, seid unter anderem für den „Sound Of 2011“-Award der BBC nominiert. Ihr betont ja gerne, dass für euch die Musik und nicht ihr als Musiker im Fokus stehen soll – wäre es da nicht merkwürdig, auf einer großen Bühne so einen Preis entgegen zu nehmen?

Daniel Copeman: Ach, ich habe kaum Angst, dass es überhaupt so weit kommen wird... Aber ja, die Nominierung ist sehr merkwürdig. Das wäre aber wirklich kaum eine Umgebung, in der wir uns wohl fühlen würden. Wir fühlen uns zwar geehrt, aber solche Preise bauen ja auch eine bestimmte Erwartungshaltung an die Musik einer Band auf, und so etwas wollen wir eigentlich lieber vermeiden.

Ganz allgemein scheint eher düstere Musik gerade sehr beliebt zu sein, was man nicht nur an euch, sondern auch an beispielsweise Fever Ray oder The XX sieht. Warum ist das so?

Rachel: Das würde ich nicht so sagen, solche Musik gab es doch schon seit Jahrzehnten – Joy Division waren ja auch nicht gerade die fröhlichste Band der Welt.

Thomas Fisher: Sie hängt wahrscheinlich stark mit der sozialen Grundstimmung innerhalb der Bevölkerung zusammen und blüht in Zeiten sozialer Verworfenheit und Rezession auf. Die Jahre Ende der 70er, als Joy Division entstanden sind, ist ja die Verkörperung einer solchen Zeit. Wir sollten uns vielleicht glücklich schätzen, dass es heute ähnlich aussieht (lacht).

Ist es nicht merkwürdig, dass Menschen schon immer so sehr von Kunst fasziniert worden sind, die Themen wie Tod und Gewalt behandelt?

Daniel: Na ja, diese Themen waren ja schon immer ein Teil des Lebens für jeden, mit dem man sich irgendwie befassen muss. Viele haben sich wohl dafür entschieden, die Schönheit darin zu suchen, anstatt sich nur auf die negativen Elemente zu konzentrieren. Das sind auch die Dinge, die uns interessieren und inspirieren, daher verwundert es uns nicht, wenn es anderen genauso geht, das ist für uns ganz natürlich.

Da du gerade das Wort „Schönheit“ erwähnst – was bedeutet denn „Schönheit“ für euch? Ihr meintet selber einmal, dass eure Definition dieses Wortes wohl von vielen anderen Definitionen abweicht.

Rachel: Schönheit besitzen für mich oft Dinge, die nicht so leicht zu verdauen sind, die hinterfragt werden wollen und ein Gefühl von Verwunderung, von Ehrfurcht auslösen.

Thomas: Sachen, die nicht so einfach erklärt werden können, vor allem in Zeiten, in denen das für kaum etwas noch gilt. Rätselhaftigkeit ist Schönheit.

John Keats hat gesagt, dass Schönheit Wahrheit ist. Würde das eure Definition unterstützen oder ihr widersprechen?

Daniel: Das ist schwierig. Dann würden ja auch viele fiktive Werke unter den Tisch fallen, die ebenso schön sein können. Man muss etwas ja nicht am eigenen Leib erfahren, um etwas Schönes zu erschaffen, oft reicht die Vorstellung aus. So ungern ich John Keats auch widerspreche...

Rachel: Eben, auch ganz abstrakte Dinge wie Eindrücke oder Emotionen können schön sein. Die Frage, was Schönheit ist, ist aber auch so unerhört schwierig, gerade weil jeder andere Dinge für schön hält.

Daniel: Genau, jeder hat etwas Anderes, das ihn fasziniert, und wir drei scheinen relativ ähnliche Vorstellungen zu haben. Ich denke auch nicht, dass unsere Musik besonders „dunkel“ ist. Beispielsweise konzentrieren sich viele darauf, dass zwei Songs unseres Albums nach Krankheiten benannt sind und halten das für makaber. Nimm „Argyria“ als Beispiel: Argyrie ist eine Hautverfärbung, die durch Einnahme von Silber hervorgerufen wird und die Haut einfach unglaublich jenseitig aussehen lässt. „Chorea“ wiederum ist die medizinische Bezeichnung für unfreiwilliges „Tanzen“. So etwas finden wir einfach faszinierend, weswegen diese Themen für uns auch nicht ausschließlich dunkel sind. Unsere Musik enthält mehr Hoffnung, als viele Leute denken.

Gibt es also auch überall eine helle und eine dunkle Seite?

Daniel: Nicht unbedingt überall, aber zumindest bei den Themen, die uns auf dem Album beschäftigt haben. Die sind eben nicht so eindimensional, wie man gerne denkt, auch wenn es zu Beginn so scheinen mag. Es ist interessant, wie diese Themen mehr hervorrufen als nur Furcht oder Unbehagen. Man darf hier aber auch nicht vergessen, dass diese Themen nicht unbedingt das sein müssen, worum es in den jeweiligen Songs geht, sondern Stationen markieren, an denen wir von ihnen inspiriert wurden. Wie wir Drei dann damit umgehen, ist natürlich auch von Person zu Person verschieden.

Dann dienen die Songs also auch nur als Stimulation für die Hörer und beinhalten keine Anleitung, wie genau sie zu verstehen sind?

Daniel: Genau das ist uns wichtig. Es gibt in den Songs, in Lyrics, Titel und Musik, nur Hinweise darauf, was uns inspiriert hat, zu explizit wollen wir nicht sein. Innerhalb der Band verstehen wir die Songs ja schon hin und wieder anders, und auch die Hörer sollen lieber ihr eigenes Verständnis entwickeln. Auch die Bands, die wir mögen, stoßen niemanden mit der Nase auf die Bedeutung hinter ihrer Musik.

Das finde ich interessant. Auf die Frage, warum sich euer Bandname an ein dänisches Märchen anlehnt, habt ihr einmal geantwortet, dass ihr insbesondere interessant fändet, wie Märchen früher als moralische Leitfäden für Kinder fungiert hätten. Ist es denn einfach antiquiert, dass Kunst bestimmte Ansichten oder Bedeutungen zu vermitteln hat?

Thomas: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Punk existierte ja auch nur, um Botschaften zu verbreiten, und mit dieser Art von Musik ist es auch sehr gut möglich, ein Publikum direkt anzusprechen. Ich denke, unsere Musik tut das nicht. Nimm Filme: Eine gute Dokumentation will dir irgendetwas sagen, ein guter fiktionaler Film nicht unbedingt. Es kommt immer darauf an, was man mit seiner Kunst erreichen will, und in unserem Fall würde es dem Effekt, den wir erreichen wollen, nur entgegenlaufen, wenn wir erzählen wollten, wovon unsere Songs genau handeln.

Daniel: Wir sind schon an den unterschwelligen moralischen Botschaften interessiert, die viele Märchen verbreiten, aber Experten auf dem Gebiet sind wir deswegen ja auch nicht. Wir sind zufällig über diese Geschichte gestolpert und fanden, dass die Bilder, die sie in uns erzeugt hat, gut zu unserer Musik passen. Wir haben auch nicht erwarten können, dass uns nun so viele nach dem Namen fragen und ihm solche Bedeutung beimessen.

Wenn ihr euch einfach „The Irgendwas“ genannt hättet, wäre das nicht passiert.

Thomas: (lacht) Ja, genau. Das kommt davon, wenn man so schlau sein will.

Daniel: Wir waren schon stolz darauf, ein „And“ im Namen zu haben, was nicht oft vorkam. Heute hat es jede zweite Band.

„Esben Without The Witch“ hätte vielleicht besser funktioniert.

Thomas: Oder nur „Esben Witch“.

Ihr meintet ja einmal, dass ihr euch eure Musik gut als Filmuntermalung vorstellen könntet. Was für eine Art von Film müsste das denn sein?

Daniel: Was wir eigentlich meinten, ist, dass das Album von den Strukturen her insofern manchen Filmen ähnelt, dass es eigentlich mehr eine Soundlandschaft ist und keine Songs im herkömmlichen Sinne beinhaltet. Die Musik schwebt mehr.

Thomas: Wir dachten, dass es eine tolle Leistung wäre, ein Album zu schreiben, zu dem jemand einen Film drehen will. Ob wir das geschafft haben oder nicht, ist eine andere Frage.

Rachel: Es sollte eben auch einen Aufbau wie ein Film haben, also ein Album sein, das man in einem Durchgang von Anfang bis Ende durchhören will, anstattt die Tracks zu shufflen – genauso, wie man Filmszenen auch nicht unabhängig voneinander anschauen kann. Das hatten wir im Hinterkopf.

Live müsst ihr sie dann aber ja doch durcheinanderwürfeln.

Daniel: Darüber haben wir wirklich nachgedacht! Das Album einfach eins zu eins zu reproduzieren, würde den Liveshows aber schaden. Wir spielen ja auch nicht nur Songs, die auf dem Album sind. Durch die andere Anordnung wirken manche Stücke aber auch ganz anders. Die Begleitumstände sind ja auch ganz andere, wenn das Publikum gesammelt ein Konzert anschaut.

Hat nicht jemand vor einer Weile die ausgestopfte Eule geklaut, die ihr auf der Bühne stehen hattet?

Rachel: Ja, leider. Die haben wir auch nicht wiederbekommen.

Daniel: Wir hatten immer wildere Ideen, wie wir die Bühne ausschmücken könnten. Der Diebstahl der Eule war für uns dann ein Zeichen, damit aufzuhören.

Wenn ihr den Dieb erwischt, könnt ihr ihn vielleicht ausstopfen und auf die Bühne stellen.

Thomas: Das sollten wir vielleicht machen.

Photo: Angel Ceballos

Jan Martens

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