Interview

Die Nerven


Die Nerven – eine Band, die gerne geheime Botschaften in ihren Songs versteckt, die Schweißmikrofone für die Aufnahme des nächsten Albums entwickelt und die abgefahrene Ideen für eventuelle Preisverleihungen im Kopf hat. Was Kevin, Max und Julian von Die Nerven uns darüber hinaus sonst noch verraten haben, worüber sie gerne meckern und wozu sie Gutes zu sagen haben, erfahrt ihr in unserem Interview.

Wir treffen Die Nerven vor ihrem Konzert im Bielefelder Nummer Zu Platz. Einen Backstage-Raum gibt es hier nicht, also müssen wir es uns im Hinterhof gemütlich machen. Es gibt keine Beleuchtung, es wird immer dunkler und während der Geruch der angrenzenden Mülltonnen zu uns rüber weht, kommt die Unterhaltung auf Rock Am Ring 1999, wo mit Tocotronic und Element Of Crime unter anderem zwei große deutschsprachige Bands aufgetreten sind.

Kevin: Tocotronic! Die waren 1999 bei Rock am Ring, das kommt im Tour-Tagebuch vor.

Dann hab ich die leider verpasst, als ich da war. Aber ich hab Element Of Crime gesehen und war ziemlich begeistert.

Max: Mein Beileid!

Julian: 'Ne furchtbare Band!

Max: Sven Regener soll weiter Bücher schreiben!

Ich finde seine Songs besser als seine Bücher.

Max: Ich finde seine Bücher auch nicht gut...

Julian: ...aber immer noch besser als seine Songs! Lass uns nicht über Sven Regener reden.

Aber Tocotronic findet ihr im Allgemeinen gut?

Alle: Ja.

Kevin: Aber gar kein Vergleich!

Das natürlich nicht. Aber ich finde, wenn man über gute, deutschsprachige Musik spricht, gehören Element Of Crime dazu.

Max: Aber willst du ein Interview mit uns machen, oder nicht? Du kannst auf gar keinen Fall Element Of Crime ins Interview rein bringen!

Kevin: Ich finde, Howard Carpendale gehört übrigens auch dazu.

Julian: Wenn man schon von Element Of Crime spricht, und deutschsprachigem Country-Rock.

Kevin: Boah, wir sind grad schon ziemlich Arsch...

Wenn man so andere Interviews von euch liest, seid ihr ja generell ziemlich "Arsch", wenn ihr über andere deutsche Bands sprecht.

Kevin: Das wird immer aus dem Kontext gerissen.

Max: Das stimmt. Aber wir müssen ja auch nicht alles gut finden...

Julian: Wir mögen halt nur Thees Uhlmann und Element Of Crime nicht.

Max: Man liest in den Interviews halt nicht, wenn der Interviewer auch mit uns kichert, wenn wir irgendwen dissen. Aber ganz ehrlich, ich hab auch noch nie einen Element-Of-Crime-Song ganz zu Ende gehört. Das spricht auch nicht für mich als Kritiker... aber auch nicht für die Band.

Man muss sie auch nicht mögen. Sie sind natürlich auch Spalter. Aber vielleicht war es bei mir dieses Konzert-Erlebnis in der stinkigen Eifel bei Rock am Ring. Das hat sie mir irgendwie sympathisch gemacht.

Max: Ist doch schön.

Apropos Jugend auf dem Dorf... ihr seid ja auch eher um Stuttgart herum aufgewachsen. Wie seid ihr denn überhaupt zur Musik gekommen?

Max: MTV.

Julian: Ja, bei mir auch. Bei mir war es außerdem so, dass ich schon früh in meinem Kinderzimmer Instrumente stehen hatte und dann irgendwie drauf herum geklopft habe. Ich hab auch tatsächlich Eltern, die einen sehr guten Musikgeschmack haben.

Max: Ich bin über Marylin Manson zur Musik gekommen, als ich dann ernsthaft angefangen hab, Musik zu hören. Ich stehe nun auch nicht mehr hinter Marylin Manson, aber damals war er mir wichtig.

Hattet ihr auch Musikunterricht?

Julian: Ja, ich hatte immer wieder verschiedenen. Ich musste auch Blockflöte lernen, da war es dann schon fast wieder vorbei, mit der Musik und mir. Aber weil ich unbedingt Trompete lernen wollte, musste ich das machen. Später hab ich mir dann selber beigebracht, Gitarre zu spielen und hatte auch da noch ein wenig Unterricht.

Max: Ich hab ein bisschen Klavier und ein bisschen Blockflöte gelernt.

Kevin: Ich hatte musikalische Früherziehung im Kindergarten.

Max: Auf so Klanghölzern? Die Orff'sche Klangpädagogik?

Kevin: Ja, genau. Wenn man mal Lust hatte, ein Instrument so richtig auszuprobieren, dann sagen die immer: "Nein, nein, nein!", denn du musst es immer schön mit den anderen zusammen machen. Ich hatte auch mal ein paar Wochen Gitarrenunterricht, wir haben Gummibänder über Joghurtbecher gespannt und daran gezupft, dann haben wir noch zusammen im Kreis gestanden und gestampft und geklatscht, um ein Rhythmusgefühl zu bekommen (alle lachen). Ich glaub, ich hab dann irgendwann den ersten Akkord von "Marmor, Stein und Eisen bricht" hin bekommen.

Max: Der Song hat auch nur zwei Akkorde! (Alle singen und summen den Song)

Julian: Wir reden viel zu viel über andere Künstler!

Kevin: Ja, aber es ist viel entspannter so, denn jetzt kommt: "Wie kamt ihr auf den Namen?", oder so was.

Nein, das werde ich nicht fragen. Generell frage ich mich bei Interviews aber immer wieder, ob das nicht anstrengend ist, wenn man immer wieder die gleichen Fragen gestellt bekommt. Vielleicht könnt ihr mir ja mal etwas sagen, was ihr schon immer mal los werden wolltet.

Max: Uns hat zum Beispiel noch nie jemand gefragt, was es mit den geheimen Botschaften auf sich hat, die wir auf unserem Album versteckt haben.

Und wo sind die versteckt? Ich hab sie auch nicht entdeckt.

Max: Ja... das werde ich natürlich nicht sagen, aber sie sind tatsächlich da!

Kevin: Wie viele sind es denn überhaupt?

Max: Drei Stück.

Julian: Und zwei von denen sind am Anfang, im ersten Drittel eines Songs anzuordnen.

Max: Die sind bewusst eingesetzt, aber man versteht es nur, wenn man es richtig laut hört.

Julian: Und man versteht sie nur, wenn man weiß, was es eigentlich heißt (lacht).

Max: Wenn man bei Pink Floyds "The Dark Side Of The Moon" beim letzten Song richtig, richtig laut dreht, dann hört man im Hintergrund ein Blasorchester Beatles-Songs spielen.

Kevin: Ja, "Ticket To Ride". George Martin hat so ein Sinfonie-Tribute an die Beatles gemacht, das war im Nebenraum, in den Abbey Studios.

Max: Irgendso ein Quark ist bei uns auch mit dabei, aber nicht von den Beatles!

Julian: Aber gesprochene geheime Botschaften.

Wenn ihr live spielt, werdet ihr wahrscheinlich die geheimen Botschaften weg lassen müssen... schade. Von wegen live spielen... ich hab eine Aussage gelesen, die fand ich sehr schön. Ihr habt den Anspruch an den Produzenten, dass man den Schweiß, den man beim Konzert von euch riecht, auf der Platte hört...

Max: Ja, das schafft nämlich fast niemand. Unser Produzent, der Ralv Milberg, zerbricht sich schon seit mindestens einem halben Jahr den Kopf darüber, wie man das noch weiter ausfeilen kann. Wir haben vor, die Avantgarde zu werden: Songs aufnehmen, bei denen man den Schweiß hört... man spricht da mittlerweile sogar von Schweißmikrofonen, aber das sind geheime Techniken, die wir natürlich nicht verraten werden.

Und ihr wollt das alles nur über den auditiven Weg machen, oder könntet ihr euch vorstellen, eine Platte zu machen, die Schweißgeruch ausströmt, während die Nadel darüber geht?

Julian: Die so stinkt wie wir, wenn wir aufnehmen! (alle lachen)

Kevin: Du hast es geschafft, die Frage hat uns tatsächlich noch nie jemand gestellt! Es gibt tatsächlich ein paar Platten mit Scratch-and-Sniff-Covern, wenn man die an einer Stelle kratzt, kann man was riechen.

Julian: Das ist witzig, denn ich hatte heute, als wir über den Aufnahmeprozess vom nächsten Album gesprochen haben, noch so einen Gedanken, dass man Schweiß in die Platte mit einarbeitet...

Max: Es gibt diese Band, Perfect Pussy, bei denen die Sängerin ihr Perioden-Blut gesammelt hat und das dann ins durchsichtige Vinyl mit eingearbeitet wurde.

Da fällt mir ein, dass ich mal mit Molly Nilsson darüber gesprochen habe, dass es die Möglichkeit gibt, aus der Asche eines verstorbenen Menschen eine Platte zu pressen.

Julian: Das Best-Of kommt dann mit der eigenen Asche raus (alle lachen). Das Problem ist ja, dass man von dem Geld gar nichts mehr bekommt, was die Leute bereit sind, dafür zu zahlen!

Kevin: Du denkst da wieder sehr wirtschaftlich!

Max: Ich würde mir eher Gedanken darüber machen, zwischen welchen Platten du das Ende deiner Existenz verbringst.

Kevin: Man kann es ja noch toppen, indem man uns nach dem Tod häutet und einen Ledereinband fürs Cover macht.

Es wird dunkel und ihr habt mir vorhin gesagt, ich soll keine Angst haben...

Max: Nimm dich in Acht...

Von wegen Angst haben, ihr singt ja auch über Angst, aber gibt es etwas, vor dem ihr konkret Angst habt?

Max: Also ich hab Angst vor Begebenheiten und Ängste vor Situationen, obwohl ich weiß, dass sich diese Ängste überhaupt nicht lohnen.

Zitierst du gerade etwa einen Song? (ironisch)

Julian: Er zitiert meinen Songtext. Ich hab ihn geschrieben, darum kann ich das genau so unterschreiben.

Max: Aber ich kann dir sagen, wovor ich Angst habe. Nämlich davor, bekifft U-Bahn zu fahren. Das ist eine der schlimmsten Sachen, die man überhaupt machen kann.

Kevin: Das mache ich andauernd.

Max: Ja, ich auch, ich muss halt, aber es ist wirklich das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Am allerschlimmsten ist es, wenn dann auch noch mein Handy klingelt.

Was könnte denn passieren?

Max: Überhaupt nichts kann passieren... aber ich krieg halt einfach Schweißausbrüche und so ein Scheiß in der U-Bahn... aber das ist auch erst seit ein paar Monaten. Ich hab aber auch viel gekifft die letzten Monate (alle lachen). Heute ist der erste Tag, an dem ich nicht gekifft habe, bisher. Seit wirklich langer Zeit.

Julian: Was mein Songtext auch aussagt, ist, dass jeder vor irgendetwas Angst hat. Es gibt niemanden, der keine Angst hat. Viele dieser Ängste sind natürlich auch berechtigt, aber die meisten dann doch wieder nicht. Jeder weiß im Prinzip, dass viele der Ängste unbegründet sind, aber man kann nichts dagegen machen. Es geht um Angst im Allgemeinen.

Und du so? (zu Kevin)

Kevin: Ich hab Angst davor, dass der Max bekifft U-Bahn fährt (alle lachen).

Max: Das war jetzt wieder die Punchline, der Satz, mit dem du das Interview beendest!

Julian: Ja, wir müssen dann jetzt leider das Interview beenden... (alle lachen).

Kevin: Ich hab Angst, dass unsere Vorband heute nicht so toll ist... die klingen gerade irgendwie nicht so tight.

Max: Ey, guck mal, wie wir beim Soundcheck geklungen haben!

Naja, das ist eine lokale Band (Patient Patient, Anm. d. Red.), die unterstützt werden sollte...

Kevin: Ich sag ja nur, ich hab Angst davor, vielleicht auch völlig unbegründet.

Hättet ihr euch die Vorband lieber selbst ausgesucht?

Kevin: Naja, wir kennen doch niemanden in Bielefeld.

Julian: Aber Jochen Distelmeyer ist hier doch geboren. Oder Casper, der ist hier aufgewachsen.

Max: Boah, Casper, der hat so viel durchgemacht... (ironisch).

Kevin: Der hat einen Abend mit Lena Meyer-Landrut verbracht (alle lachen).

Max: Macht das mal nach!

Kevin: Der hat meinen allergrößten Respekt! (Alle stimmen zu)

Kevin: Guck mal, da ist die Simona! (zeigt auf meine Interview-Unterlagen mit den Cover-Fotos der Alben)

Ja, apropos, wer sind denn die Menschen auf euren Covern?

Max: Die Frauen!

Ich war mir in der Tat nicht sicher, weil ich finde, dass sie auf dem Foto ziemlich androgyn aussieht.

Max: Das ist Simona, auf Fluidum. Und die andere Dame heißt Liliana, das ist ihre große Schwester. Liliana ist eine sehr gute Freundin von mir.

Julian: Simona war da 14.

Wie seid ihr darauf gekommen? Gab es das Foto schon vorher, oder habt ihr es dafür geschossen?

Max: Es gab so ein ähnliches Foto von ihr, und zwar auf dem Blog von Liliana. Sie ist keine Künstlerin und ich les auch keine Blogs... aber das ist der einzige Blog, den ich mir angucke. Sie macht so eine ganz komische Art von Outsider-Kunst. Das ganze Artwork, was wir für die Nerven benutzen, das klaue ich eigentlich von diesem Blog. Liliana fotografiert immer mit Einwegkameras und so einem Scheiß und weiß nicht wohin mit den ganzen Sachen. Ich benutze es dann halt.

Das heißt, du machst das Artwork. Dann bist du also auch für dieses Facebook-Kreuz (Cover von "Asoziale Medien", Anm. d. Red.) zuständig? Ich hab es mir angehört und für ein totales Anti-Facebook-Album empfunden.

Julian: Das war ein Konzept-Album.

Max: Bisschen platt, oder?

Kevin: Super geil!

Julian: Das war von Anfang an ziemlich klar, dass die Texte, die wir verwenden, nur Facebook-beeinflusst sein sollen.

Max: Und ich glaube, als es entstanden ist, also 2012, gab es ziemlich wenig Musik, die sich wirklich mit Facebook beschäftigt hat. Jetzt steigen sie natürlich alle ein. Ich glaube, Placebo hatten auch so einen Song... ich hab mich so fremdgeschämt, als ich den gehört habe.

Julian: Zum Teil sind das ja nur Sachen, die ich geklaut habe, weil irgendwer sie in die Timeline gepostet hat.


Photo: Elisabeth Moch

Was ist das mit Facebook und euch? Ist das eine Hass-Liebe?

Kevin: Ich glaube, jeder von uns ist absoluter Facebook-Junkie, leider.

Max: Ich habs tatsächlich ganz runter geschraubt.

Julian: Aber trotzdem. Die Band an sich und in ihrem Werdegang hat total die Hass-Liebe zu Facebook. Wir haben es auch irgendwie geschafft, uns dieses Netzwerk zu eigen zu machen, was auch Promo anging. Auf der anderen Seite finden wir es auch schon ziemlich ekelhaft.

Max: Man muss die ganze Zeit hinterher sein und die Algorithmen verstehen.

Julian: Letzte Woche hat der Max da einen totalen Treffer gelandet...

Max: Das war total frech, irgendwie. Es gab ja dieses U2-Album zum neuen iPhone dazu geschenkt. Ich hab dann einfach gepostet: "Wie bekomme ich das U2-Album von meinem iPhone runter?". Dieser dumme Spruch hat dann einfach 260 likes bekommen, die zweitmeisten, die wir je bekommen haben. Wenn wir schreiben: "Unsere Alben sind jetzt alle im Stream kostenlos und ohne Werbung verfügbar!", dann finden das vielleicht 80 Leute gut – wenn ich so einen Scheiß poste, sind es 260. Aber im Umkehrschluss klicken dann mehr Leute unsere Seite an und hören sich unsere Musik an. Es ist eine ganz ambivalente Geschichte.

Würdet ihr sagen, es geht heute ohne Facebook?

Alle: Nein, als Band auf gar keinen Fall.

Kevin: Ich war letzte Woche auf Tour und war fünf Tage nicht auf Facebook und hatte dann 42 Nachrichten. Und zwar alles Mögliche, von "Wann proben wir mal?" bis "Hey, ich bin zu dick für mein T-Shirt, wo kann ich das zurück geben?" (alle lachen).

Julian: Aber wenn man zwei Wochen im Urlaub ist, merkt man auch, dass es einschläft. Wenn du nicht mehr aktiv bist, dann interessiert sich auch niemand mehr für dich. Ich hab einen Facebook-Account für mein Alter Ego "Peter Muffin", da hab ich nur 50 Freunde oder so, und da lasse ich mir die Nachrichten auch per Email schicken, die checke ich regelmäßig...

Max: Ich hab auch ein Facebook-Alter-Ego, das heißt genauso wie mein richtiges Profil und es ist ein Gegenentwurf – wie ich auch hätte werden können, wenn ich an irgendeinem Punkt anders abgebogen wäre. Ich poste dann z.B., wenn Deutschland Weltmeister wird, dann finde ich das total großartig...

Julian: Da ist er total der brave BWL-Student.

Max: Ich hab da auch ein total furchtbares Foto von mir als Profil-Foto. So wäre ich, wenn ich mich von der Musik und Kunst total fern gehalten hätte... wenn ich weiter Handball gespielt hätte, wenn ich ein anständiges Abitur gemacht hätte und jetzt in Tübingen studieren würde. Ich will da noch mehr machen, ich will auch nicht, dass die Leute die beiden Profile noch voneinander unterscheiden können. Ich meine, ein Facebook-Profil kann ja nicht alle Facetten eines Menschen zeigen. Du präsentierst dich ja auf eine bestimmte Art und Weise im Internet. Irgendwann bin ich dann auch in so einem Paranoia-Ding gelandet... kann ich jetzt das und das machen, was denken dann die und die Leute... ich wollte lieber das machen, was ich will, und das ist halt perfekt, wenn man noch ein zweites Profil hat.

Wir sprechen jetzt so viel über Facebook und das Verhalten von Leuten in unserer Generation... könnt ihr mir sagen, zu welcher Generation ihr euch dazu zählt?

Max: Auf jeden Fall die Generation Y! Aber ich finde es sowieso schwierig, uns irgendwo einzuordnen.

Julian: Wir sind ja auch ein bisschen eine Parodie von den ganzen Leuten.

Kevin: Mein Facebook-Profil ist z.B. eine totale Parodie. Ich glaube, ich hab noch nie was Ernsthaftes gemacht auf Facebook.

Julian: Du likest immer nur irgendwelche Simpsons-Bilder (lachen).

Kevin: Ich mag diese Heuchelei nicht, wenn es um etwas Ernsthaftes geht, dass es dann mit einem Post getan ist und schon zeigt man Empathie... Ich hab aber auch ein Facebook-Alter-Ego. Ich heiße Michael Jackson (alle lachen). Ich hab mich nur angemeldet, damit ich länger unbegrenzt Spotify nutzen kann. Dann hatte ich aber die Idee des Popstars im Ruhestand, der im schwäbischen Umland lebt, mit dem Namen Michael Jackson.


Photo: Elisabeth Moch

Apropos Michael Jackson und Klassiker ohnehin. "Fun" wurde ja ziemlich gehypt, als eines der größten deutschen Alben überhaupt...

Julian: ... naja, als eines der größten deutschen Alben des Jahrzehnts, wir wollen ja nicht übertreiben...

Ok, aber wie findet ihr das und werden heute überhaupt noch Klassiker geschrieben?

Kevin: Auf jeden Fall!

Julian: Du kannst dich ja aber nicht hinsetzen und denken: Wir schreiben jetzt einen Klassiker! Wir haben halt ein Album gemacht. Klassiker sind die, die nicht als solche geplant sind.

Wie ist das denn in zehn Jahren, seid ihr da noch relevant?

Max: Ich weiß nicht, ob wir im Januar noch relevant sind... Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass heute noch Klassiker gemacht werden, aber da, wo man sie nicht vermutet.

Kevin: Und ich glaube, die breite Masse nimmt es nicht so wahr.

Das ist wahrscheinlich eher die Problematik, dass man früher viel weniger hatte, auf das man sich fokussieren konnte. Wie weit plant ihr denn für euch voraus?

Max: Wir wollen eigentlich gar nicht so weit voraus planen, wir wollen nur darüber nachdenken, wie wir klingen wollen und was wir von uns präsentieren wollen.

Julian: Und wo wollen wir uns verändern, dass es uns selbst gefällt, spannend bleibt und worauf haben wir Lust – darüber denken wir nach.

Max: Wir machen uns tatsächlich keine Gedanken darüber, wie das bei anderen ankommt. Wir waren z.B. der Meinung, dass "Fun" sehr viel sperriger ist als das Vorgänger-Album. Aber es hat sich heraus gestellt, dass die Leute es trotzdem hören...

Für mich hatte ich es sogar als zugänglicher empfunden...

Julian: Für uns war es ganz schwierig einzuschätzen...

Kevin: Ich finde auch, dass das erste viel sperriger ist.

Max: Ich kann mich noch an den Kevin erinnern, der, als wir im Tour-Bus saßen, sagte, wir sollten uns wirklich überlegen, ob es jetzt das ist, was wir als zweites Album an die Welt raus lassen wollen, denn es hätte auch richtig nach hinten los gehen können. Wir hatten auch ganz lange, bevor das Album raus kam, richtige Komplexe. Wir fanden das Album alle total scheiße und dachten, wir können das eigentlich viel besser. Aber es war dann in Stein gemeißelt und ich glaube, jetzt haben sich auch alle damit angefreundet.

Julian: Ja.

Kevin: Ja klar. Es ist, wie es ist, und es kam ja auch gut an.

Max: Wir haben halt immer versucht, zwischen Pop und totalem Lärm die richtige Balance zu finden. Es ist uns mit "Fun" besser geglückt als mit "Fluidum", aber eigentlich immer noch nicht so gut, wie wir uns das vorstellen.

Könnt ihr euch denn eigentlich irgendwie einordnen? Ihr sagt selbst, ihr seid kein Punkrock...

Max: Falsche Frage, nächste Frage! Klar ist, wir sind kein Punk-Rock...

Aber was seid ihr dann?

Max: Wir sind die Schülerband aus der Hölle (schmunzelt). Wir, die die Musik machen, können uns überhaupt nicht einordnen, wir können nicht sagen: Hey, wir machen jetzt Post-Punk! Wir fangen einfach an. Wir können uns dann im Nachhinein anhören, was wir da gemacht haben, aber ich glaube, ab dem Moment, wo eine Band anfängt, sich selbst zu kategorisieren, ist es vorbei. Wir haben einen viel zu persönlichen Bezug dazu, als dass wir es in irgendeine Schublade stecken könnten.

Julian: Und dann kommen noch die Einflüsse von jedem Einzelnen von uns dazu...

Kevin: Vielleicht kann man Post-Punk schon als Leitfaden betrachten, weil da auch nichts klar definiert ist, wie es zu klingen hat.

Julian: Ja, es war ja alles, was nach dem Punk kam.

Max: Es waren alle, die sich gegen den Punk aufgelehnt haben, und trotzdem kommt im Begriff das Wort Punk vor – und dann denken die Leute wieder, wir sind eine Punk-Band. Wir sind aber einfach keine Punk-Band!

Ich habe noch eine Frage von einem anderen Musiker an euch. Ich habe ein Interview-Buch, in das jeder Interviewte immer eine Frage für den nächsten rein schreibt. Die Frage kommt von Kwabs und lautet: Seitdem ihr Künstler seid, bzw. als Band zusammen seid, haben sich da eure Träume und Ambitionen verändert? Wenn ja, wie?

Max: Auf jeden Fall! Als wir angefangen haben, wollten wir einfach nur laut und nervig sein.

Julian: Und eine Band haben! (lachen)

Max: Und dann hatten wir eine Band und mussten überlegen, wie machen wir jetzt weiter.

Julian: Man wollte die Band haben, die es nicht gab. Denn alle Bands, die es so im Umkreis gab, waren langweilig. Am Anfang ging es dann vor allem darum, die Band zu sein, die man selbst hören will, und gleichzeitig die andern zu provozieren.

Max: Inzwischen bin ich persönlich darüber hinweg, die anderen zu provozieren. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass 95% der deutschen Musiklandschaft total peinlich ist. Das muss ich den Leuten jetzt aber auch nicht mehr sagen, die sollen es selbst merken (alle lachen). Am liebsten möchte ich einfach nur gute Musik machen. Jetzt kommt noch dazu, mit guter Musik Geld zu verdienen. Das scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Kevin: Das ist immer die Sache. Man möchte immer den nächsten Berg erklimmen, den man vor sich sieht.

Max: Der Kevin sagt immer den Spruch: "Jetzt sind wir also SO eine Band!", also weil wir z.B. jetzt 14 € Eintritt kosten.

Julian: Wir schlafen im Hotel!

Max: Also, heute nicht (alle lachen). Wir haben heute nicht einmal ein Backstage, wie du merkst.

Hättet ihr auch eine Frage für mich, fürs nächste Interview?

Max: Wie wäre es mit: Wie oft masturbierst du in der Woche?

Julian: Oder, was verstehst du unter ehrlicher Musik?

Kevin: Zu welchem Musikvideo masturbierst du?

Julian: Welches war das erste Musikvideo...

Max: Welches war das erste Musikvideo, zu dem du masturbiert hast... Das würde ich gern von dir erfahren, Julian. (alle lachen)

Julian: Die Frage soll da rein, nicht an mich gestellt werden. Das klären wir später... außerdem weiß ich es gar nicht mehr. Muss irgendwann 2002 gewesen sein.

Also... das ist jetzt ernsthaft eure Frage? Dann schreibt sie doch bitte auf.

Max: Welches Datum haben wir denn heute?

Julian: Den 17. September. Hey! 17. September! Dann haben wir heute ein Jubiläum zu feiern! Weil wir heute vor zwei Jahren erfahren haben, dass unsere Platte raus ist!

Max: Ja, du hast recht!

Julian: Wir haben heute vor zwei Jahren den Plattenvertrag mit This Charming Man angeboten bekommen. Da war ich im Urlaub in der Toscana und Max hat mich angerufen.

Und wann habt ihr es dann gefeiert?

Julian: Nie so richtig.

Kevin: Wir haben uns dann bei Facebook gegenseitig auf die Schulter geklopft (lachen).

Max: Und dann haben wir gesagt: "Jetzt sind wir also SO eine Band!" (lacht)... bringen so richtig eine Platte raus, auf Vinyl. Jetzt haben wir wieviele Platten raus gebracht? Sieben oder so? So langsam ist es halt langweilig. Es kickt nicht mehr so. Ich kann mich erinnern, als ich das allererste Mal ein Vinyl in den Händen gehalten habe, wo Musik von mir drauf war, und das war wirklich ein Gefühl, das ist nie mehr so wieder gekommen.

Julian: Wahrscheinlich wirst du das Gefühl wieder haben, wenn wir den ersten Echo gewinnen (lacht).

Würdet ihr so einen Preis annehmen?

Max: Ja, auf jeden Fall. Aber wir überlegen uns halt schon, was passiert, wenn uns der Stefan Raab zu TV Total einlädt, oder was passiert, wenn wir zur Echo-Verleihung eingeladen werden... und ich fände es geil, wenn eins unserer Cover-Girls uns an Hundeleinen auf die Bühne führt und dann eine Rede hält... oder der Kevin... nein, der Kevin darf keine Rede halten! (lacht)

Kevin: Ich werde sowas von eine Rede halten! (lacht)

Julian: Der hört dann gar nicht mehr auf! (alle lachen)

Kevin: Ich werde das Telefonbuch von Bielefeld raus kramen und jedem einzelnen danken! (alle lachen)

Julian: Wenn Stefan Raab uns einlädt, würden wir auf jeden Fall zu ihm in die Show gehen.

Kevin: Ich würde dann so einen Stapel Maxi-CDs von Stefan Raab und die Bekloppten raus holen und ihn bitten, jede einzelne zu signieren (alle lachen).

Julian: Dann steht das am nächsten Tag in der Bild-Zeitung: Irrer Schlagzeuger zwingt Stefan Raab...

Würdet ihr eigentlich jemals einen Playback-Auftritt machen?

Max: Nein, das geht gar nicht. Dann müssten wir wochenlang proben, bis wir den Song so exakt spielen könnten (lachen).

Kevin: Aber wenn wir im ZDF-Fernsehgarten mit Playback auftreten könnten, so um 1 Uhr mittags vor den ganzen Rentnern...

Max: Wir haben auf jeden Fall eine ultra-krasse Popnummer auf unserem nächsten Album, die könnte auch den Rentnern gefallen.

Außerdem habt ihr ja auch schon DJ Ötzi gecovert... die werden euch lieben! Habt ihr noch etwas, was ihr zum Schluss los werden möchtet?

Max: Ich will meine Familie grüßen, vor allem meine Mutter Petra. Ich bin ihr sehr dankbar. Meine Mutter hat auch letztens auf Facebook ein Live-Video von uns gepostet, ich glaub, sie ist sehr stolz. Das freut mich sehr, denn sie hat sehr viel bangen müssen, dass was aus mir wird. Danke Mama!

Das Interview gibt es auch als Audio-Datei bei Hertz 87.9 zu hören.

Marlena Julia Dorniak

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