Interview
Alkaline Trio
Was ich vielleicht zuerst mal fragen sollte, da „Agony & Irony“ nun ja auch schon ein halbes Jahr draußen ist und ihr wohl schon mit einer Menge Journalisten über das Album gesprochen habt: Gab es während der Interviews eine besonders nervige Frage, die ich nicht noch einmal stellen sollte?
Matt: Fragen über die Platte nerven mich eigentlich nie. Wenn Leute hingegen nach Sachen fragen, die vor zwölf Jahren passiert sind, wie die Band gegründet wurde und so weiter, die in unserer Biographie auf der Homepage stehen, denke ich mir: „Hast du das überhaupt gelesen? Das haben wir doch schon längst beantwortet!“ Aber über das Album darfst du eigentlich alles fragen, was du willst.
Bist du denn zufrieden damit, wie das Album von den Medien und den Fans aufgenommen wurde?
Matt: Wir haben ein paar gute Rezensionen bekommen und Fans der Band schienen es zu mögen, also: Schon, ja.
Das interessiert mich vor allem, weil ihr mehrere Male gesagt habt, dass ihr eine Band seid, die sich ständig weiter entwickeln und nicht das selbe Album zweimal aufnehmen will – was man auch hören kann. Trotzdem kam es mir bei „Agony & Irony“ so vor, dass hier der Konsens von Fans und Presse war, dass der Schritt von „Crimson“ zu „Agony & Irony“ euer bisher größter war, größer als beispielsweise zuvor von „From Here To Infirmary“ zu „Good Mourning“ oder von „Good Mourning“ zu „Crimson“. Stimmst du dem zu?
Matt: Das ist etwas, das natürlich passiert. [Derek, der Drummer der Band, stößt hinzu.] Also, ich glaube, dass das ein natürlicher Vorgang ist, weil wir Spaß an dem haben, was wir tun. Wir wollen immer etwas machen, was ein kleines bisschen unterschiedlich ist und trotzdem dem Geist der Band treu bleibt. Wir wollen schon noch wie wir klingen, aber auch Neues ausprobieren und daher nicht die selbe Platte zweimal herausbringen. Das wäre für uns etwas sinnlos.
Aber glaubst du denn, dass ihr besonders auf „Agony & Irony“ Neues ausprobiert habt? So scheinen es die meisten zu sehen.
Derek: Ich finde, „Crimson“ war die größte musikalische Abweichung, die die Band mitgemacht hat. Zumindest, was die Produktion angeht, da hatten wir auf einmal Streicher und Klaviere. Ich denke, mit diesem Album haben wir es bis an die Grenzen getrieben, „Agony & Irony“ ist eher ein allumfassendes Album geworden. Hier haben wir versucht, Elemente aus jeder Platte, die die Band bisher aufgenommen hat, in diesem Album unterzubringen. Ich möchte nicht sagen, dass es ein Schritt zurück ist, aber es liegt auch eine gewisse Nostalgie darin.
Vielleicht waren ja nur so viele Leute der Meinung, weil ihr nun zu einem Major Label gewechselt seid. Manchmal scheinen Fans darauf konditioniert zu sein, die größten und schlimmsten Veränderungen im Sound ihrer Lieblingsband erwarten zu müssen, sobald diese bei einem Major veröffentlicht. Stimmt ihr dem zu, dass Fans häufig so zu denken scheinen?
Matt: Als wir damals unser erstes Label – Johann’s Face Records, ein sehr kleines Punkrocklabel in Chicago – verlassen haben und einen Deal mit Asian Man Records unterschrieben haben, haben die Leute uns schon Sellouts genannt. Da kann man nicht gewinnen. Wir haben es auch nicht darauf angelegt, zu einem Major zu wechseln, wir hatten nur zufällig Freunde, die bei diesem Label gearbeitet haben. Deswegen haben wir dort unterschrieben, weil wir die Leute dort mochten und wussten, dass sie gute Arbeit für uns leisten würden. Uns wurde nun gesagt, dass wir vielleicht wieder das Label wechseln müssten, aufgrund der Veränderungen und Verschiebungen innerhalb der Musikindustrie. Ich kann das noch nicht sicher sagen, aber es sieht so aus, als wären wir bald wieder auf der Suche nach einer neuen Heimat, was dann wahrscheinlich erneut ein Independent Label sein würde. Vielleicht auch wieder ein Major, da kommt es auch darauf an, wo unsere Freunde landen und wer wo arbeitet, da wir schon mit Leuten arbeiten wollen, die wir mögen. Auf der kreativen Seite hat das Label aber gar nichts damit zu tun, wie eine Platte klingt. Zumindest sehr wenig, deine Umgebung beeinflusst dich schon immer irgendwie etwas. Aber unsere Fans wussten schon, dass wir keine elektronische Band oder Rap-Metal-Band werden, nur weil wir jetzt auf einem Major Label sind.
Aber wo du meintest, dass euch schon manche „Sellouts“ nannten, als ihr damals zu Asian Man gegangen seid: Sind Fans von Punkrockbands vielleicht seltener dazu in der Lage zu akzeptieren, wenn ihre Lieblingsbands auf einmal etwas anders klingen und woanders ihre Platten veröffentlichen?
Derek: Sie prüfen neues Material zumindest genauer als in anderen Genres. Mir fällt gerade keine große Rockband war, die mal auf einem Independent Label war…
Matt: Green Day vielleicht. Sie hatten auch mit dem Problem zu kämpfen, die sind so circa die reichste und größte Band der Welt geworden, aber alle haben sie gehasst. Dort zu stehen, wo sie standen, war ihnen einfach nicht erlaubt. Nirvana waren auch ursprünglich eine Independent Band und haben bei Sub Pop veröffentlicht, die hatten mit dem gleichen Problem zu kämpfen. Ich glaube, dass die Leute wirklich am angepisstesten sind, wenn du bei einem großen Label unterschreibst und dein Album dann scheiße wird. Im Punkbereich sind die Leute dann sauer auf dich und hören deine Platten dann aber trotzdem weiter. Sie schreiben im Internet, dass sie dich hassen und deine Musik läuft im Hintergrund. (lacht)
Derek: Punk ist eine Ideologie, eine Subkultur. Und jedes Mal, wenn diese Subkultur dem Mainstream zu nahe kommt, werden sofort Gefühle verletzt. Wenn man sich mal die Musik anschaut, hat Punk aber quasi mit Majorlabeln angefangen. Die Ramones und eine Menge der britischen Punkbands – die Sex Pistols, The Damned – haben alle auf Majorlabeln veröffentlicht. Deswegen ist mir auch immer so absurd vorgekommen, wenn Leute so dagegen sind, wenn Punkbands bei Majorlabeln sind, ohne dass ich uns hierbei strikt als Punkband etikettieren wollen würde.
Es ist so schon etwas paradox, dass Punkbands damals bei den großen Plattenfirmen ihre Alben veröffentlicht haben, da es ja eigentlich auch ein Teil der Punk-Ideologie war, gegen den Mainstream sein zu wollen.
Derek: Klar. Aber was ist schon mehr Punk als ein Punkalbum, das auf einem Majorlabel veröffentlicht wird, oder ein Punksong, der im Radio gespielt wird? Darin liegt eine gewisse Ironie, die aber oft übersehen wird. Rage Against The Machine zum Beispiel sind zwar keine Punkband, aber eine riesige Band, die zwar ganz klar im System funktioniert, aber sich gleichzeitig gegen das System ausspricht. Darin liegt eine gewisse Schönheit.
Für mich heißt „Punk“ auch, die Dinge einfach so zu tun, wie man sie will. Wenn das dem Mainstream entspricht – fein, wenn nicht, dann eben nicht.
Matt: Ja, sich darüber Sorgen zu machen, was andere Leute denken, ist nicht sehr Punkrock. Wenn es einem scheißegal ist und man ein Individuum ist – das ist Punkrock, für mich zumindest.
Als wir vorhin darüber gesprochen haben, dass ihr euch als Band entwickeln wollt – habt ihr manchmal Ideen, von denen ihr glaubt, dass sie zu radikal verschieden von dem wären, was ihr als Band sonst so macht?
Matt: Bei mir nicht, ich bin da gewissermaßen „stuck in a box“. Dan, der gerade nicht hier ist, ist technisch sehr versiert und kann auf sehr vielfältige Art und Weise Songs schreiben. Er kann etwas schreiben, das einfach sehr Alkaline Trio ist, aber auch etwas, das ganz anders ist. Er könnte wahrscheinlich leicht ein Album für eine andere Band schreiben, während er eins für Alkaline Trio schreibt. Wenn ich zwei Alben schriebe, würden die wohl ziemlich gleich klingen. Dan schreibt hin und wieder etwas, das wirklich toll ist, aber vielleicht nicht zur Musik von Alkaline Trio passen würde. Davon abgesehen, wollen wir schon immer etwas ausprobieren, das andere Leute hoffentlich interessant finden, und – was am wichtigsten ist – das wir interessant finden, solange es nicht komplett anders als unsere Band klingt. Das ist etwas, das wir nicht tun würden, und dessen sind wir uns auch bewusst.
Thrice haben ja zum Beispiel ein Album aufgenommen, das total verschieden war von allem, was sie davor gemacht haben. Das würdet ihr also nicht tun wollen?
Matt: Wenn wir jemals etwas komplett anderes machen wollten, würden wir es vielleicht so wie Green Day machen: Die haben ja einfach „The Network“ oder „Foxboro Hot Tubs“ gegründet, als sie mal eine Garagenrockband oder eine New-Wave-Band sein wollten. Ich habe bisher noch nie darüber nachgedacht, aber es wäre bestimmt spaßig, wenn wir drei unter einem anderen Namen etwas spielen würden, das uns allen drei gefällt. Techno oder so. Das würden wir wahrscheinlich nie tun, aber wenn, dann auf jeden Fall unter einem anderen Namen.
Da wir gerade von anderen Bands reden, Matt: Du hattest ja dein Nebenprojekt „Heavens“. Hat das irgendwie den Sound von „Agony & Irony“ beeinflusst? Ich denke da zum Beispiel an die Synthesizer in „I Found A Way“.
Matt: Nein, das habe ich mit meinem Freund Joe geschrieben, während ich mit Alkaline Trio an „Crimson“ geschrieben habe. Er hat für die ganze Instrumentierung gesorgt, ich habe dann nur ein paar Melodien beigetragen und dabei geholfen, die Songs zu strukturieren. Das waren zwei vollkommen getrennte Entitäten. Auf der textlichen Ebene mag es einige Überschneidungen gegeben haben, aber wir haben schon Streicher und so in „Crimson“ mit eingearbeitet, bevor die Idee zur Heavens-Platte überhaupt aufgekommen ist.
Hast du also bei Heavens mitgemacht, um mal etwas Musik mit einem Kumpel machen zu können?
Matt: Ja, wir haben auch darüber gesprochen, ob wir noch mehr Platten aufnehmen sollten, aber uns dann dagegen entschieden. Es bleibt also bei einer einmaligen Sache. Wir haben alle Freunde in anderen Bands und wenn man Zeit hat, macht es immer Spaß, auch mal andere Musik zu machen, ich bin sicher, dass sich da auch noch andere Dinge ergeben werden. Derek hat auch eine Menge Kram, den er selber aufnimmt, auf seiner Myspace-Seite hochgeladen.
Normalerweise gründet man ja Nebenprojekte, weil man entweder mit einem Freund was machen will oder weil man fühlt, dass man gewisse Dinge in seiner Hauptband nicht verwirklichen kann. Es war bei dir also nur der erste Punkt?
Matt: Ja, komplett. Wir haben in einem Haus zusammengewohnt und den gleichen Musikgeschmack, wir verehren zum Beispiel beide Bands wie Kraftwerk und Joy Division, daher dachten wir „Hey, wir sollten auch so eine Band gründen“. Nur zum Spaß, fast ohne Konzerte zu spielen. Wir drei haben die Band gegründet und weiter geführt, weil wir lieben, was wir tun. Wenn wir das nicht täten, würden wir aufhören. Natürlich haftet dieser Band mittlerweile auch ein geschäftlicher Aspekt an, aber ich finde, dass man es hören kann, wenn einer Band oder einem Künstler das Musikmachen keinen Spaß mehr macht.
Jetzt mal zu einem ganz anderen Thema: Ihr spielt ja in ein paar Tagen einen Akustik-Gig im Ramones-Museum in Berlin.
Matt: …tun wir?
Derek: Das ist uns neu. Wir wissen nur über die Shows, die wir spielen, Bescheid.
Das wusstet ihr bis eben gar nicht?
Matt: (lacht) Danke, dass du uns das sagst!
Also, in Berlin macht wohl ein Ramones-Museum auf und so wie ich es verstanden habe, spielt ihr dort eine Akustik-Show.
Matt: Dann sollten wir vielleicht mal ein paar Ramones-Songs üben. (lacht) Danke! Das ist sogar ziemlich aufregend, aber uns hat keiner davon erzählt. Wir wussten nur, dass wir eine Menge Kram zu erledigen haben, aber wenn wir im Ausland spielen, wird’s normalerweise erst spezifischer, wenn wir irgendwo ankommen.
Was ich eigentlich fragen wollte: Spielt ihr immer noch Teile eurer Shows akustisch, so wie früher?
Matt: Das haben wir auf einer Tour gemacht, und ich sage nicht, dass es wir es nicht noch mal tun würden, aber damals haben wir wirklich lange Sets gespielt – das ganze „Goddamnit“-Album zum Beispiel, auf dem ein paar akustische Songs sind und das auch mit einem akustischen Song aufhört. Wir haben also quasi das eine Set mit akustischen Liedern in das andere überführt. Wir spielen aber noch akustisch, wenn wir Radio-Auftritte haben und anscheinend ja auch, wenn wir im Ramones-Museum spielen.
Aber auch Songs, die normalerweise nicht akustisch sind, oder?
Matt: Das ist ganz verschieden, manchmal schon, aber auf dieser Tour in den USA haben wir keine akustischen Versionen von elektrischen Songs gespielt.
Fühlen sich die normalerweise elektrischen Songs denn anders an, wenn sie akustisch gespielt werden?
Derek: Ja, sehr sogar. Deswegen macht es ja auch soviel Spaß. Aber ich glaube, dass eine Menge Songs sowieso auf der Akustikgitarre geschrieben wurden, so ist es auch eine Chance, einmal hören zu können, wie der Song ursprünglich einmal hätte klingen können.
Gibt es irgendwelche Songs, die akustisch überhaupt nicht funktionieren?
Derek: Ja, wir haben zum Beispiel probiert, „Burn“ akustisch zu spielen und das hat gar nicht funktioniert. Manche Songs lassen sich nicht übertragen, aber bei vielen funktioniert’s.
Gibt es denn Songs vom neuen Album, die sich bei euch zu Live-Favoriten entwickelt haben?
Matt: Ich spiele sehr gerne „I Found A Way“ und auch „Ruin It“, das wir aber noch nicht so oft gespielt haben. Ich mag Songs, die etwas schwieriger zu spielen sind, und davon gibt es einige auf dem neuen Album. Mein aktueller Favorit ist aber „I Found A Way.“
Bekommen wir die denn heute abend auch zu hören?
Matt: Yap!
OK, darauf freue ich mich dann! Danke für das Interview!
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