Jurist mit Tunnelblick
Sehr geehrter Herr Prof. Hoeren, in einer ersten Reaktion auf Ihre Ausführungen schrieb ich im beck-blog: „Traurig, was Hoeren mit seiner Denkweise, die schon seit Jahren keine wissenschaftliche Präzision und Unparteilichkeit erkennen lässt, bei seinen Lesern für Vorurteile und Klischees bedient.“ ...
Umso trauriger finde ich, dass Ihre öffentlichen Einlassungen zu diesem Themenkomplex in meinen Augen nicht nur wissenschaftliche Präzision und Unparteilichkeit vermissen lassen, sondern auch jegliches Verständnis des Funktionierens einer Musikindustrie, die Sie anscheinend als monolithischen Popanz empfinden. Sie bedienen mit Ihren Äußerungen Ressentiments und schüren kräftig Vorurteile, die durch Wiederholung nicht
besser werden. ...
Ich beziehe mich mit meiner Einschätzung auf folgende Formulierungen:
• „Ich habe langsam die Nase von den Frechheiten der Musikindustrie voll.“
Frechheiten? Sind Sie der Erzieher, der zur Züchtigung greifen muss?
• „Undifferenziert wird auf Nutzer und TK-Industrie eingeschlagen.“ Wenn man
sich eines vorhandenen gesetzlich geregelten Instrumentariums bedient, um sein
Eigentum zu schützen, schlägt man undifferenziert auf jemand ein? Sehen Sie das
bei Ladenstiebstahl (um im „Bagatellbereich“ zu bleiben) genauso?
• „Falsche Zahlen (70 Prozent der TK-Nutzung seien illegaler P2P-Verkehr) ...“ Dann
nennen Sie doch bitte die richtigen, statt mit einer solchen Formulierung die
Ressentiments zu schüren.
• „Die eigenen Haussklaven werden als Unterzeichner vorgeschickt und instrumentalisiert
...“ Finden Sie Ihre Formulierung nicht beleidigend? Haussklaven? Die
Musikindustrie als Sklavenhalter? Hat Sie denn jegliches Gespür für die Angemessenheit
von Vergleichen verlassen?
• „ ... statt sich mal zu fragen, ob man nicht als Musikindustrie angemessene Salärs an
Kreative zahlt.“ Angemessene Salärs? Für die Künstler? Wissen Sie, wieviel ein
Angestellter eines Independentlabels verdient?
Oder meinetwegen auch ein Inhaber wie Stefan Herwig, dessen Einsatz aus
Überzeugung für seine Ideale ich als bewundernswert empfinde, obwohl er im
Umfeld Ihres Blogeintrags auf verlorenem Posten steht. Kriegen Sie als Autor ein Salär
von Beck? Oder werden Sie für derlei Stuss nicht vielmehr vom Staat bezahlt?
• „Jede differenzierte Auseinandersetzung fehlt ...“ In der Tat, aber doch wohl eher bei
der Klientel, die Sie mit Ihrem Blog (und Ihren Einlassungen zum Thema in der Vergangenheit) bedienen. Und ja doch: Ich sehe auch, dass es unter den vielen Kommentaren inzwischen auch welche gibt, die sich differenzierter mit der Thematik
beschäftigen.
• „Man will in der Musikindustrie nicht differenziert denken. Man will schlagen,
hauen, klotzen. Dualismus ist eben besser verkäuflich als differenzierte Prüfung und
Gespräche. Gut = Musikindustrie – böse = der Rest der Welt, die Hörer von Musik
(eine Industrie straft ihre Kunden), TKIndustrie, Internetnutzer, Andersdenkende.“
Eine böswillige Unterstellung nach der nächsten ...
Dabei stellen Sie selbst durchaus wichtige Fragen: „Hat nicht der Gewinneinbruch in
der Musikindustrie noch andere Gründe als P2P? Kann die TK-Industrie überhaupt
effektiv den Zugang zu Websites sperren? Ist nicht Urheberrecht geprägt durch eine
komplexe Suche nach einem Gleichgewicht zwischen schützenswerten Urheber-,
Verwerter- und Nutzerinteressen?“ Darüber zu diskutieren, hielte ich für sinnvoll
und spannend, und ich hoffe, dass wir in diesem Punkt einer Meinung sind. Aber
leider verhindern Sie mit Ihren emotional aufgeladenen Diffamierungen eine solche
Diskussion.
Musiker als Almosenempfänger
Schwarzweißmalerei hilft niemandem. Es gibt keine monolithische Musikindustrie.
Es gibt einige wenige Majors (die im übrigen Marktanteile verlieren, aber noch immer
gut verdienen). Es gibt Heerscharen von Indies, die Marktanteile gewinnen,
aber immer weniger Mittel in der Kasse haben. Es gibt Indies, die das Handtuch werfen.
Es gibt Künstler wie Grönemeyer, die viel Geld verdient haben und viel Geld in
die Förderung anderer Künstler stecken. Und es gibt Musiker, denen all das schnurz
ist und die sich mit Liveauftritten oder TShirt-Verkauf über Wasser halten. Es gibt
Musikverleger, Produzenten etc. pp., die alle ihre eigenen Partikularinteressen
haben. Es gibt Verwertungsgesellschaften, die trotz aller strukturellen Fragwürdigkeiten
noch immer die wichtigste Errungenschaft der Kreativen sind. Glauben Sie im
Ernst, dass es all diesen Teilen der sogenannten Musikindustrie heutzutage besser
ginge, wenn sie sich nicht gegen illegale Verbreitung von Musik gewehrt hätten?
Und wenn sie dies auch weiterhin tun? Eine interessante Diskussion wäre sicher
auch, ob das Internet mit all seinen Möglichkeiten die Entwicklung wieder
zurückdreht zu ähnlichen wirtschaftlichen Strukturen wie vor der Aufklärung: der
Musiker als Mäzenatenzögling, als Hofmusikant, als „freier Geist“, als Almosenempfänger.
Da frage ich mich, zugegeben: polemisch, ob Sie als Professor (ebenso wie
viele Kommentarschreiber im Blog, denen als Jurastudenten oder Anwälten die Niederungen der sozialen Wahrheit gerade im Kreativsektor anscheinend eher fremd
sind) sich überhaupt Gedanken über solche profanen Zusammenhänge machen.
Verlogene Argumente
Schön wäre auch, wenn mal jemand handfest belegen könnte, dass Lawrence
Lessig und Creative Commons eine bessere Alternative zum jetzigen System sind.
Strom aus der Steckdose, Musik aus dem Wasserhahn – haben wir nicht einen wunderbar differenzierten und verbraucherfreundlichen
Energiemarkt? Und wäre das nicht ungeheuer effizient: eine zentrale
Behörde zur Verteilung der Erlöse aus der Musikflatrate an alle Lizenzberechtigten?
An anderer Stelle – im Interview mit jetzt.de – greifen Sie den Gedanken vom
Wandel des Urheberrechts zu einem reinen Wirtschaftsrecht der Verwerter auf. Darum
ginge es Ihnen. Ohne Zweifel ein wichtiges Anliegen und ein ergiebiges Thema angesichts der zunehmenden Dominanz internationaler Entertainmentkonzerne (die
meistens allerdings nicht vom deutschen Urheberrechtsverständnis geprägt sein
dürften, sondern wohl eher vom englischen Copyright-Gedanken). Nur schlagen
Sie in der aktuellen Debatte meines Erachtens den Sack und nicht den Esel. Und P2P
hat damit zunächst einmal wenig zu tun. Denn alle Schutzmaßnahmen helfen
nichts, wenn man sich umsonst bedienen kann. Den Verwertern bleibt dann nichts
mehr zum Verwerten. Man kann das zynisch sehen und all den Indies (und das
ist die Mehrheit der Betroffenen, nicht die internationalen Majors) empfehlen, sich
lieber eine „vernünftige Arbeit“ zu suchen. Zum Beispiel eine Currywurstbude zu
eröffnen. Man kann sich auch in die Tasche lügen und pseudoliberal verkünden,
es sei alles eine Frage des Marktes – wer Mist produziert, solle sich nicht wundern,
wenn niemand dafür bezahlen will. Ich halte solche Argumente (die Sie in Ihrem
Blog ebenfalls provozieren) für verlogen, denn wenn ich Ware kostenlos verteile,
setze ich die Gesetze des Marktes außer Kraft. Am Ende wird der Zusammenbruch
des Marktes stehen. Kann gut sein, dass wir das bald erleben werden. In diesem Zusammenhang empfehle ich die Lektüre der Diplomarbeit von Sebastian Haupt über
Rechtfertigungsstrategien von Filesharern, auszugsweise veröffentlicht in Musikwoche
33/2007 – oder hier erhältlich:
www.diplom.de/Diplomarbeit-10484/Musikkopisten
und ihre Neutralisationstechniken.
html. Spannend wäre aber auch eine Diskussion über die normative Kraft des Faktischen: Was tun, wenn sich immer mehr Bürger über gesetzliche Vorgaben einfach hinwegsetzen, weil sie über die Mittel dazu verfügen? Oder eine Diskussion
darüber, wie Kapitalströme im Interesse der Ertragsoptimierung der Investoren in
Geschäftsmodelle fließen, die sich über bestehende rechtliche Grenzen mit Hilfe
der IT-Technik hinwegsetzen. Mit anderen Worten: wie auf Kosten der Urheber, der
Schöpfer der Inhalte, an anderer Stelle Gewinn gemacht wird. Schließlich würde
mich noch eins interessieren: Ist Ihnen wirklich nicht aufgefallen, dass es sich bei
der Anzeige, über die Sie sich so echauffierten, nicht allein um eine Initiative der
Musikwirtschaft handelt? Auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat
sich zum Beispiel an dieser Initiative beteiligt. ...Ich werde in den nächsten Wochen
jeweils ein Kapitel des bei Beck erschienenen und von Herrn Prof. Hoeren herausgegebenen Handbuchs „Wegerechte und
Telekommunikation“ scannen und als PDF ins Internet stellen ....
Was halten Sie davon? Was empfehlen Sie Ihrem Verlag?