Festival-Nachbericht

Uni Open Air


The same procedure as every year. Wenn der Winter so langsam ausklingt und in den Frühling übergeht, fängt man an, sich auf den kommenden Festivalsommer zu freuen. Man sieht sich auf einer Wiese in der Sonne liegen und der tollen Musik lauschen. Man will Muse im dunkeln und Calexico bei Sonnenuntergang sehen, wartet auf Bandbestätigungen und zählt die Löcher in den Zeltwänden. Hach, wird das toll. Dann kommt ein windiges und viel zu kaltes Rock-am-Ring-Wochenende, und man ist erst einmal frustriert, zumindest was Petrus angeht. Dieses Jahr versuchten wir aber, alles besser zu machen und starteten schon einige Wochen früher. Zum antesten gut geeignet schien das Uni Open Air in Bayreuth. Gutes Line Up, angenehmer Preis und eintägig, An- und Abreise mit dem Auto. So schlecht muss das Wetter erstmal sein. Abgesehen davon, wozu gibt's eigentlich Jacken, Mützen und Handschuhe. Nur das Dumme ist: Es ist Mai, die Handschuhe sind da schon lange im Schrank verstaut. Aber an diesem Tag hätte man sie gut gebrauchen können, das sag ich euch. Es war nämlich bitterkalt.

Opener des Festivals um 14:30 Uhr ist die Dresdener Band "Polarkreis 18". Als Referenz gibt das Festivalheftchen Sigur Ros an, was mich sehr freut, da Sigur Ros klasse ist. Das nachträgliche Hören des Albums macht das insbesondere im Bezug auf Vocals und Atmosphäre der Songs nachvollziehbar, aber Live fühlt man sich dann noch eher an Sometree erinnert. Instrumental ist das auch zweifellos ganz großer Sport, aber was an dem Tag überhaupt nicht geht, ist der Gesang. Viel kraftvoller als auf Platte fügt er sich nicht mehr richtig in den Klangteppich ein und wirkt irgendwie fehl am Platz. Schade eigentlich.

Nach einer kurzen Pause und einem Besuch des Waffelstands geht es dann weiter mit "Hund am Strand". Alle Jungen, alle Mädchen, zieht eure T-Shirts aus. Yeah, yeah! Das kennen und mögen wir. Zu einsetzendem Regen und weiter fallenden Temperaturen will das zwar überhaupt nicht passen, aber es ist nunmal ein gottverdammter Ohrwurm und auch der beste "Hund am Strand"-Song. Einen haben sie aber noch: "Wir haben uns gefunden" ist ein neues Lied. Wenn die Nacht vorbei ist, singen wir ein neues Lied. Auch irgendwie catchy. Die restlichen Songs sind dann einfach nur nett, musikalisch nicht besonders aufregender, aber auch nicht total belangloser, sommerlicher Poprock. Und an dieser Stelle kommt schon wieder das Wetter ins Spiel. An einem schönen Festivalnachmittag machen "Hund am Strand" bestimmt sehr viel Spaß, aber bei dieser Kälte jagt man doch keinen - Vorsicht! - Hund an den Strand.

Mit Wortspielen dieses Kalibers kennt sich die nächste Band, Kate Mosh, besonders gut aus. Ich persönlich finde es ja irgendwie doof, was sich Kate Mosh mit ihren Lied-, Band-, Albumnamen einfallen lassen, aber solange gute Musik dabei entsteht, ist das schon ok. Sogar die Sonne lässt sich für kurze Zeit blicken, und es wird "angenehm" warm. Der Sebadoh-Aufkleber auf der Gitarre des Sängers Thom Gastning gibt uns die Richtung vor. Indierock nennt man das wohl. Je dreckiger und fetter die Gitarren, desto besser gefallen auch die Songs. Dazu Gastnings Stimme, die hin und wieder sehr entspannt, aber genausogut aufgeregt und verzweifelt flehend, fast schon schreiend, daherkommt. Das passt und macht Spaß. Nur was dieser Synthesizer in den Songs sucht, erschließt sich mir nicht. Manchmal als Intro, manchmal zwischendurch, aber immer nur für wenige Sekunden angespielt, wirkt er irgendwo sehr fehl am Platz. Sollte er als Alleinstellungsmerkmal und Abgrenzung zu anderen Bands dienen, am Besten einfach weglassen. Dafür sorgt die Qualität der Lieder schon ganz alleine.

Spätestens als die ersten Klänge der vierten "Band" Kissogram erklingen, ist klar, dass der Veranstalter gelobt werden muss. Endlich mal ein Line Up, bei der nicht jede Band eine Kopie der vorhergehenden ist und man doch nur auf den Hauptact wartet. Kurz: es wird elektronisch. Im Grunde ist damit auch das einzig wirksame Mittel gegen den schon wieder einsetzenden Regen gefunden: Tanzen nämlich. Das muss man Kissogram schon sehr hoch anrechnen. Das Unigebäude ist nur ein paar Schritte von der Bühne entfernt, es ist mittlerweile wieder sehr, sehr kalt, und die Leute werden klatschnass. Trotzdem ist der Innenbereich wie leergefegt, weil alle am Tanzen sind. Manchmal ist das Wetter dann eben doch nicht so entscheidend.

Schön wäre es, wenn man jetzt von der Kraft der Musik schreiben könnte und wie durch Tanzen die Wolken vertrieben wurden. Schon mal etwas von Sonnentanz gehört? Nein? Ich auch nicht, aber Regentanz ist mir dafür umso geläufiger. Kurz vor Ende des Kissogram-Auftritts drehen sich die Tänzer um und blicken mit skeptischem Blick zum Himmel. Wie wir seit Armageddon wissen, hat das nur selten etwas gutes zu bedeuten. Wenige Minuten später sind wir dann auch schon im Physikum der Uni und sehen dabei zu, wie sich durch ein kurzes, aber dafür umso heftigeres Unwetter, Sound- und Lichtanlage verabschieden, und gleichzeitig die Essenstandsbesitzer versuchen, ihre Pavillions zu retten. Ich war noch nie auf einem Festival, auf dem es gehagelt hat. Wäre das also auch abgehakt. Das man die Veranstaltung auf dieser Bühne keinesfalls fortsetzen konnte, war wohl den meisten klar. Zum Glück wurde dann auch ziemlich schnell beschlossen, dass die restlichen Bands im Innenbereich spielen sollen. Also machten wir es uns um 20 Uhr erstmal bequem und gingen zu unseren Lieblingsbeschäftigungen Essen und Trinken über. Dank Aftershowparty war im Innenbereich auch schon eine Anlage aufgebaut, so dass uns die Zeit durch musikalische Untermalung von Blackmail bis Mediengruppe Telekommander doch etwas angenehmer gemacht wurde. Nebenbei gingen die Aufbauarbeiten für die nächste Band, Kante, vonstatten. Anstatt, wie zuerst geplant, auf einer Empore, wurde einfach auf dem Boden im Eingangsbereich des Physikums aufgebaut. Eine großartige Idee, zumindest für die Leute, die vorne stehen. Zwei Meter entfernt hat man wohl von der Band nicht mehr viel gesehen.

Gegen 22 Uhr geht es dann weiter. Wir drängeln uns in die erste Reihe, um ohne Absperrung und Bühne direkt vor der Band zu stehen und gemütlich im Kanteschen Soundkosmos unterzugehen. Aber bei so großartigen Musikern ist das immer so eine Sache. Man stellt sich ein auf Jazz, Pop und gemütlichem vor sich hin schwelgen, und was kommt? Noise-, Indie-, Postrock. Wenn man Kante kennt, kann man's ja fast nicht glauben, aber mit dem neuen Album "Die Tiere sind unruhig" wird ganz offensichtlich eine neue Richtung eingeschlagen. Die ersten vier Songs kommen allesamt von diesem Album. Die Gitarren sind laut und druckvoll, das Schlagzeug gibt den Pogern hinter uns ein kanteuntypisches Tempo vor, und trotz der Wandlung bleibt alles großartig. Ein Song fällt noch etwas aus dem Rahmen. Sänger Peter Thiessen wechselt an den Bass, Bassist Andreas Krane geht dafür an die Zither, ja richtig, die Zither. Wir bewegen uns auf den Pfaden von Tortoise und Mogwai. Danach kommen die beiden vermeintlichen Hits "Die Summe Der Einzelnen Teile" und "Zombi", bevor wir am Schluss zu "Warmer Abend" nochmal so richtig davonschweben können. Ein tolles Lied. Es wird ein warmer Abend sein, und wir werden draussen stehen, und wir werden uns berühren, und die Nacht sich senken spüren. Großartig. Als Zugabe gibt's noch den Opener des ersten Kante-Albums "Tourisme", aber nach knapp über einer Stunde ist es auch schon wieder vorbei, und Kante hinterlassen uns mit offenen Mündern. Der Überraschungseffekt ob der geänderten Musikrichtung ist das eine, die Qualität der Songs das noch viel Wichtigere. Wer sich diese Band im Herbst ansieht, wird begeistert sein. Davon bin ich überzeugt.

Eigentlicher Headliner dieses Abends ist dann Erobique. Leider hinken wir durch die Unterbrechung dem Zeitplan um zwei Stunden hinterher und so müssen wir schon vorher Richtung Heimat aufbrechen. Aber trotz dieses Umstands und des schlechten Wetters war es ein gelungener Tag.

Matthias Kümpflein

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