Festival-Nachbericht

Reeperbahn Festival 2012


Manchmal sind Lösungen so offensichtlich, dass man sie gerade deshalb übersieht – der sprichwörtliche Wald eben, der von diesen nervigen Bäumen verdeckt wird. Im Falle des Reeperbahn Festivals war dies ein grundlegendes strukturelles Problem: Unmengen von Bands an fast so vielen Veranstaltungsorten schön und gut – wenn man dann jedoch den Großteil davon dank Konkurrenzprogramm verpasst, bleibt zwangsläufig ein gewisser Gram zurück. Was hilft: Die Bands in anderem Rahmen einfach nochmal bar der meisten Überschneidungen auftreten lassen – und die allgemeine Vergrößerung des Festivalkosmos damit schön unterstützen.

Denn wer anno 2012 noch wie bei der Erstausgabe 2006 nur in den Abendstunden in die Clubs pilgert, verpasst so einiges. Dies kann dem Geldbeutel zwar durchaus zuträglich sein, wenn man nicht bei jedem zweiten Stand der Flatstock Poster Convention 'nen Zwanni für einen wunderschönen Bandposter-Siebdruck ausgeben möchte, aber dennoch: Sich bereits nachmittags Bands anschauen, die beispielsweise an diversen Punkten auf dem Spielbudenplatz oder bei Michelle Records (Norddeutschlands tollstem Plattenladen) auftreten, macht das Reeperbahnfestival nun zu deutlich mehr als zu einer Abfolge von Konzerten.

Beispiel Wintersleep: Natürlich vermag auch die sehr intime Atmosphäre im Hörsaal, einer dieses Jahr gern für solche "Showcases" herangezogenen Kneipe, einen Komplettgig nicht zu ersetzen – dennoch erleichtert es die Entscheidung etwas, abends im 5. Stock des Feldstraßenbunkers auf den ersten Hamburg-Auftritt von Nagels neuer Band zu warten. "Verhält sich zu Muff Potter wie Kettcar zu ...But Alive" wurde gemauschelt – und stimmt. Etwas Gemütlichkeit darf an diesem Abend aber auch sein – ist man an diesem Freitag schließlich doch bereits von den Japandroids genügend durchgeschüttelt worden.

Ebenfalls im Hörsaal anzutreffen: Socalled, die mit ihrem "Jid-Hop" (Wortprägungsgelder bitte an den Kollegen Eike) und allerlei Gefiedel in Angie's Nightclub am Abend zuvor ebenso fehl am Platze waren wie Skinny Lister, die wahrscheinlich nur in Läden mit Freibierangebot das optimale Publikum für ihren Humptata-Pop fänden. Deutlich besser ist mal wieder das komplette Programm des schönen Imperial Theaters ausgewählt: Dort haben Admiral Fallow nicht nur den mitreißendsten Folk, sondern auch die witzigsten Ansagen im Programm, während die Sängerin von Cold Specks mit ihrer soulgeladenen Stimme selbst das Theme vom "Fresh Prince Of Bel Air" noch zu einem Gänsehautstück werden lässt. Wer zu solchen Auftritten noch Gigs wie den von King Tuff (Pop für die Psychedeliker unter uns) oder Arkells (Nachschub für jene, die plötzlich religiöse Differenzen mit The Gaslight Anthem entdeckt haben) dazu zählt, wird auch 2013 wieder probieren, schon so früh wie möglich zum Spielbudenplatz und umzu zu pilgern. Der nächste akute Verbesserungsbedarf wäre nun höchstens, Cro zu Livequalitäten zu verhelfen. Aber man kann von einem Festival ja auch keine Wunder verlangen.

Jan Martens

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