Festival-Nachbericht

Reeperbahn Festival


Wenn während des Deichkind-Gigs vor der Großen Freiheit 36 mehr Menschen warten, als überhaupt reinpassen, wenn im Laden selbst die Securities als Pseudo-Platzanweiser fungieren, die auch die letzten freien Quadratzentimeter noch füllen wollen, wenn die Polizei vor dem Club Aufstände verhindern muss - dann haben mal wieder viel zu viele Reeperbahnfestivalbesucher den Sinn hinter der Veranstaltung nicht verstanden: Nicht auf einer bestimmten Band bestehen, sondern sich freuen, auch einmal Neues kennenlernen zu können.

In diesem Zusammenhang muss jedoch erfreulicherweise klargestellt werden, dass lange Schlangen wie zu Deichkind - oder auch wie zu den Editors im Docks oder Sophia in den Fliegenden Bauten - primär wohl nicht auf enge Horizonte der Besucher, sondern auf die hervorragenden Ticketverkäufe zurückzuführen sind: Bereits der erste Festivaltag war restlos ausverkauft, was sich wohl nicht zuletzt auf den Auftritt der Alternative-Legenden Dinosaur Jr. zurückführen lässt, die mit ihrem Nostalgietrip viele Besucher des Docks begeisterten. Dass auch Biffy Clyro unmittelbar zuvor eine gewohnt starke Show ablieferten und auch andere Läden - wie beispielsweise die Prinzenbar mit Siva. und Washington - schöne Programmpunkte boten, ließ fast komplett vergessen, dass der Donnerstag beim Reeperbahnfestival normalerweise qualitativ und quantitativ immer am schwächsten bestückt ist.

Die bereits erwähnten, großen Zuschaueranstürme bei den Publikumsmagneten Deichkind und Emiliana Torrini (Zitat eines Besuchers: "So, jetzt hat sie 'Jungle Drum' gespielt, dann können wir ja wieder gehen") am Freitag wiederum hatten den positiven Nebeneffekt, dass es in den anderen Clubs und Locations umso gemütlicher war - wenn man in der nüchtern-sterilen O2 World mit ihren Unmengen penetranter "Habt ihr schon ein Foto von euch machen lassen? Kommt auf 'nen Button!"-Promoter überhaupt von so etwas wie Gemütlichkeit sprechen kann. Egal - die tollen Auftritte der schottischen Arcade-Fire-Erben Broken Records sowie des gewohnt sympathischen Niels Frevert entschädigten mehr als genug für die unsympathische Location.

Wer mochte, konnte jedoch auch am letzten Tag des Reeperbahnfestivals mit Jose Gonzalez und Hello Saferide feine Künstler genießen - oder sich mit Jupiter Jones, Fight Like Apes, Hellsongs oder Ramona Falls eins der anderen Highlights anschauen, die unglücklicherweise natürlich alle genau gleichzeitig spielen mussten. Unsere Wahl fiel auf die färöischen Orka, die mit ungewöhnlichen Instrumenten und experimentellen Klängen eine fantastische Show hinlegten und zudem einen "leicht" angetrunkenen Yann Tiersen mit an Bord hatten. Friska Viljor setzten im Docks - das übrigens das widerlichste Bier Hamburgs verkauft - stattdessen lieber auf eingängige "Lalala"-Singalongs und Partystimmung und hatten auch neue Songs im Gepäck - ebenso wie die Editors, deren Stilwechsel hin zu Depeche-Mode'schen Synthieklängen jedoch nicht alle Fans zufrieden stellte.

Im vierten Jahr seines Bestehens ist das Reeperbahnfestival aber nicht nur auf den ersten Blick - Bands, Zuschauer, Atmosphäre - ein voller Erfolg, den Veranstaltern gelingt es auch mehr und mehr, eine international bekannte Marke zu erschaffen. Zum einen durch Show Cases bei anderen Festivals wie dem SXSW in Texas und dem Eurosonic in Groningen, zum anderen durch Neuerungen wie das Branchentreffen Reeperbahn Campus. Das Festival für "new international music" streckt also langsam seine Tentakel aus, und wir sind schon gespannt, wer am 23. September 2010 auf der bekanntesten Amüsiermeile der Welt aufspielen wird.

Jan Martens, Matthias Kümpflein

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