Festival-Nachbericht

Immergut Festival 2015


Große Festivals ziehen mittlerweile über 50.000 Menschen auf ein weitläufiges Areal mit sich überschneidenden Slots und überfüllten Timetables und irgendetwas kommt immer zu kurz. Bei all dem Bierball und den Kostümen ist das meistens die Musik. Aber eine Menge kleiner Festivals leisten erbitterten Widerstand und stellen die Musik in den Fokus. Ein solches Festival und ein besonders Feines noch dazu ist das Immergut Festival in Neustrelitz.

Wer es hier ernst meint, kann jeden Act sehen und sich voll auf die Indie-Künstler einlassen. Auch in diesem Jahr waren die Stimmung entspannt, die Auftritte super und das Partyzelt gefüllt. Bierball und Kostüme gab es zwar auch, aber schon bei den ersten Acts war klar: Hier wird Wert auf die Kunst gelegt.

Am Freitag ging es direkt mit einigen Lieblingen der Szene los und mit Linus Volkmann konnte man im Birkenhain einem der wohl bekanntesten Musikjournalisten des Landes beim abgedrehten Vorlesen zuhören. In den frühen Abendstunden tanzte die Indie-Meute dann zu den Klängen von Trümmer, bevor schon fünf Minuten später Sven Regener mit den nimmermüden Element Of Crime aus der scheinbar endlosen Diskographie schöpfte und es vor der Bühne die ersten kleineren Stelldicheins gab. Da wurde geknutscht, da wurde gewippt, da wurde im Anschluss bei The/Das ausgiebig getanzt, bevor die Nacht plötzlich hereinbrach und der Brite Ghostpoet das inoffizielle Liebes-Thema des Festivals nahtlos fortsetzte. Überraschend kühl wurde es, als die Sonne sich verkrochen hatte und mit Drenge und Balthazar präsentierte der Schrammel-Rock seine würdigen Vertreter. Das alles bewegte sich natürlich in einem sehr engen Spektrum der Musik, aber auf das Immergut verirren sich eben auch selten Uneingeweihte, so dass es bei jedem Auftritt rappelvoll vor der Bühne wurde. Und wen die Müdigkeit nach all dem Shoegazen und Indie-Rocken noch nicht übermannt hatte, der konnte bis in die frühen Morgenstunden im Partyzelt seiner Tanzwut freien Lauf lassen. Aber vorsichtig: Klassiker- und Mitgröhl-Alarm.

Nach einem langen Freitag konnte man in Ruhe ausschlafen, auch wenn das Zelt in der Nacht sehr kalt wurde. Aber so war wenigstens auch das Bier gekühlt und die Wahrnehmung schon am Nachmittag durch eine symbiotische Beziehung aus dem flüssigen Gold und der strahlenden Sonne getrübt. Mit Von Spar und Die Nerven waren zwei weitere Vertreter der Deutsch-Rock-Zunft bereit, ihren Beitrag zu leisten und der Norweger Erlend Øye war für die Schunkel-Anhänger genau das Richtige zur Entspannung. Eine Stunde vor Mitternacht dann ein ganz besonderes Highlight: King Khan & The Shrines, dem die Liebe aus allen Poren über den Körper lief und der das Publikum mit sexuellen Offenbarungen gleichermaßen irritierte wie begeisterte. Wer sich Sorgen um seine Sexualität macht, sei beruhigt. Sein Penis wird bei seiner Frau immer noch genauso hart wie beim ersten Mal. Für diese Erwähnung muss bei einem Festival-Auftritt definitiv die Zeit bleiben. Ähnlich ekstatisch verhielt sich das Publikum dann mitten in der Nacht bei Battles, die aus Brooklyn zu Besuch waren. Was auf einem Album schon gut klingt, entfaltet bei überdimensionaler Lautstärke seine volle Wirkung. Als in "Atlas" das Vocal-Sample einsetzt, gibt es kein Halten mehr und die letzte Energie wird zu einem finalen Tanz aufgebracht. Zeit, das T-Shirt zu wechseln und sich in den Schlafsack zu mummeln.

Das Immergut bleibt der Geheimtipp unter den Indie-Festivals. Während man auf dem Zeltplatz liegt und die zwei Grillen beobachtet, die es doch irgendwie in die eigene Kabine geschafft haben, hofft man, dass diese 5.000-Besucher-Institution noch lange erhalten bleibt. Die gutgelaunten Ordner, die liebenswürdige Dekoration, das angenehm überschaubare Areal und all die jungen und alten Menschen, die die Liebe zur Musik teilen und im Partyzelt zusammen kommen – so schön können Frühlingswochenenden sein. Und von weitem hört man aus dem Partyzelt noch eine altbekannte Single der Arctic Monkeys, bevor die Augenlider den Kampf aufgeben und zufallen.

Arne Lehrke

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