Festival-Nachbericht

Immergut Festival 2014


Vom Flamingo im Publikum, von Dosentelefonen und musikalisch untermalten Nickerchen in der Sonne. Vom Immergut 2014. // Photo Credit: Manja Junker

Ende Mai. Schon Tage vor Beginn des Immergutrocken-Festivals zeigt der Wetterbericht nichts als Wind und Wolken, Wolken und hohe Regenwahrscheinlichkeiten, hohe Regenwahrscheinlichkeiten und – nun ja – Regen. "Von wegen 'ImmergutTrocken', ihr Spinner!'", schimpft man da, denn der Immergut-affine Festivalgänger lobt seit jeher die späte Maisonne. Trotz aller Lobeshymnen wird zu Hause Omas Regenhaube eingepackt und auf Petrus' Gnade gehofft.

Nun ist der Mai vorbei und mit ihm auch das Immergut Festival 2014, auf dem rund 5000 Open-Air-Vernarrte in der Sonne und den umliegenden Seen baden durften. Denn neben wunderbaren Bands größerer und kleinerer Namen spielte auch Petrus ein Konzert vom Allerfeinsten, und jeder, der mit Schlechtwettermiene gegen die Optimisten hetze, setze sich auf die stille Treppe. Der Immergut-Pionier kam nämlich nicht nur mit schönen Eindrücken bekannter Bands und guter neuer Musik im Ohr wieder nach Hause, er hatte meistens auch einen ansehnlichen Sonnenbrand im Gepäck.

Da das Immergut bereits Ende Mai stattfindet, lädt es durchaus dazu ein, den Festivalsommer einzuläuten – egal, ob bei Regen oder Sonnenschein. Das passierte in diesem Jahr natürlich nicht einfach mit Pauken und Trompeten, sondern mit großartigen Acts wie Mozes And The Firstborn, die am Freitag mit ihrem Lo-Fi-Grunge das direkte Kontrastprogramm zum seichten Indie-Folk von All The Luck In The World lieferten. Letztere waren im Direktvergleich sogar schon etwas zu leichtgängig. Da die Bands nie nebeneinander, sondern stets nacheinander auftraten, schaufelten meist persönliche Bandpräferenzen den Zeitplan an der einen oder anderen Stelle frei und es war zwischendurch immer etwas Zeit, das überschaubare Festivalgelände zu erkunden. Hier eine Schaukel im Baum, dort zwei durch ein Dosentelefon verbundene Hochstühle im Kleinformat und bunte Fähnchen, die im Wind flatterten. Der Festivalbesucher konnte sich an einem selbstgemachten Linolplattendruck für DIY-Postkarten versuchen oder einfach auf einem der Hocker sitzen und das Treiben genießen – auf dem Immergut zählt Herz statt Kommerz.

So war es zum Zeltauftritt des Duos Wye Oak auch schon schneller als gedacht nach 21 Uhr und die abendliche Dämmerung passte wie abgesprochen zur sphärisch-kraftvollen Musik. Zusammen mit der Dunkelheit der Nacht zog dann ein weiteres Duo die Festival-Pioniere vor die große Waldbühne: Die Hamburger Hundreds warteten mit flutenden Lichtspielen und überraschend tragenden Rhythmen auf; in die Nacht brachte dann allerdings die immergleiche Bonaparte-Trashpunk-Leier. Von ihrem neuen Album, dessen Release-Datum sogar der Tag des Auftritts war, waren anscheinend nicht nur viele gespannte Fans gelangweilt, denn auch Tobias Jundt selbst erweckte den Eindruck, dem eigenen Programm langsam überdrüssig zu werden – kein Wunder, er macht ja auch seit Jahren nichts anderes. Seine Langeweile konnte man allerdings ruckzuck zu den Minimal-Beats von Kombinat 100 und dem sich anschließenden Kommando Tanzbrause auf der Zeltbühne wegtanzen – und das bis 6 Uhr früh.

Neben den musikalischen Beiträgen kann man auf dem Immergut außerdem verschiedenen Lesungen lauschen. So ließ sich der Kater vom Vorabend am Samstagmorgen unter anderem zu Ausschnitten aus Felix Scharlaus Roman "Fünfhunderteins" in der Sonne wegdösen, und die anschließende Mischung einer "radically pure & minimal form of rock'n'roll with Arabic references" der Berliner Band Oum Shatt ist die wohl tiefsitzendste Neuentdeckung des Wochenendes. Selten ließ sich neue Musik so angenehm in der Nachmittagshitze weghören. Enttäuschend hingegen war der leiernde Auftritt der niedlichen Blondine Lucy Rose, die vor einem Sitzmeer aus immerguten Zuschauern ihrer eigentlich wunderbaren Stimme Ausdruck verleihen wollte. Diese schien allerdings irgendwie viel zu dünn, müde und kraftlos. Wahrscheinlich war der armen Lucy aber auch einfach viel zu warm, denn zu dieser Tageszeit strahlten Sonne und Festivalgänger um die Wette und man kann im Nachhinein tatsächlich schlecht feststellen, wer die Nase vorn hatte. Ohne ausreichend Sonnencreme wären es sicherlich nicht die roten Nasen der Pioniere gewesen.

Highlight des Tages waren wahrscheinlich die Future Islands. Während die neue Platte wegen zu glatter Produktion kritisiert wurde, kracht es in Frontman Samuel T. Herrings Stimme bei Liveauftritten noch gewaltig. Über seine ausschweifende Gestik lässt sich vielleicht streiten, mit Herzblut ist er jedoch allemal dabei, und das kam bis in den hintersten Winkel der Zeltbühne an. Dass die als Band alteingesessenen Jungs von Slut im Anschluss eine wirklich gute Show ablieferten, wird hier nur der Vollständigkeit halber geschrieben, lässt aber den leider ziemlich schlechten Sound des ersehnten Auftritts der verrückten Isländer von FM Belfast nicht in Vergessenheit geraten. Das eigentlich mehr als nur als gute Liveband bekannte Vierergespann hatte anscheinend Pech mit den Mikrofonen – vielleicht haben sie die fast schon überzogene gute Laune der Bandmitglieder nicht ertragen. Dem Träger des aufblasbaren Flamingos in den vorderen Reihen hat es aber allem Anschein nach gefallen, denn der Tanz des Vogels war nicht zu stoppen. Er wippte und drehte sich fast so unaufhaltsam wie die Nachteulen, die abschließend bis 6 Uhr morgens im Zelt das Tanzbein schwangen – geschlafen wird schließlich am nächsten Tag auf dem Weg nach Hause.

Ganz nebenbei erwähnt, ist wohl auch denjenigen, die es nicht geschafft haben, sich durch die Nächte zu tanzen oder Polarschlafsäcke einzupacken, vor Kälte die Nasenspitze abgefroren, denn so warm es tagsüber auch war, der wolkenlose Himmel ließ die Nächte auf unerbittliche 5°C abkühlen. Da braucht der immergute Pionier nicht nur dicke Socken, sondern am besten gleich ein ganz dickes Fell. Auf jeden Fall braucht er jedoch ein Ticket für das Immergut Festival 2015, denn wenn zusätzlich zu toller Musik ja doch immer die Sonne scheint, sollte man sich diesen Auftakt zum Festivalsommer nicht entgehen lassen. Dann wird anstatt der Regenhaube einfach noch ein extra Paar Socken eingepackt – natürlich von Oma.

Doreen Stoecke

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