Rezension

Voltaire

Heute Ist Jeder Tag


Highlights: Zu Schön // Flut // Heute // Kleines Mädchen
Genre: Indie Pop
Sounds Like: Garish // Radiohead // The Amber Light

VÖ: 17.03.2006

Gibt es sie noch? Neue deutschsprachige Bands, mit Substanz in den Texten und in der Musik? Außerhalb von Berlin und Hamburg? Kaum vorstellbar, aber Voltaire aus Bonn (ja, aus Bonn!) schicken sich an, in die Reihe der großen Namen aufzusteigen. Und das bereits mit dem Debütalbum! Dieses heißt „Heute Ist Jeder Tag“ und bietet eine Bandbreite aus Pop, Melancholie und Emotionen, die für eine Newcomerband erstaunlich ist.

Benannt hat man sich nicht etwa nach dem französischen Autor, sondern schlichtweg nach dem Nachnamen des Sängers, Roland Meyer de Voltaire. Dessen Stimme einmal gehört, schießt eine regelrechte Namedropping- Flut durchs Hirn. In den ruhigen Passagen erinnert sie stark an Peter Thiessen von Kante, wenn es rauher wird, steht Frank Spilker (Die Sterne) Pate. Aber auch Muse und Jeff Buckley hat der Mann zweifellos häufiger gehört. Tatsächlich wird es wohl die Stimme sein, die die Gemüter der Zuhörer und Kritiker spalten wird. Für viele ist das womöglich zu schwülstig, zu übertrieben. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, und sich darauf einlässt, wird wunderbare Momente mit diesem Album erleben.

Das Eröffnungsstück „Zu Schön“ steht sogleich buchstäblich für den ganzen Song. Zu schön, diese Gitarrenmelodie, zu schön, dieser Text, zu schön, um wahr zu sein. Wenn das mal kein Kandidat für das Mixtape des Frühlings ist. Die sanft glühende „Asche“ wird von einer schwermütigen „Flut“ weggespült. „Komm schon her / Reiß alle Städte in mir nieder / Fort mit dir“. Eine zu Ende gegangene Liebe wird hier gebührend zu Grabe getragen. Sarkastisch, aber ehrlich.

Als erste Single hat man sich „Augen Zu“ ausgesucht, was Sinn macht. Der Refrain bleibt gleich im Ohr haften, ja, ist sogar prädestiniert, um laut mitgesungen zu werden. Die richtig starken Nummern folgen aber im Anschluss. Die Hymne sondergleichen mit „Kaputt“, oder das schleppende „Wo“, welches zuerst schlurfend vor sich her tritt, bis ein gewaltiger Ausbruch den Song emporschießt. Der Titeltrack „Heute“ ist ein Meisterwerk für sich. Wie man hier das Grundgerüst der Musik erst ins Leere laufen lässt, um dann wieder mit umso mehr Emotionen zurückzukommen, das ist schon grandios. Für das im Anschluss nicht minder schlechte „Kleines Mädchen“ darf man sich dann auch einmal ohne Gewissensbisse der Streicher bedienen. So setzt man diese ein, ohne aufdringlich oder überladen zu wirken! Zum Abschluß gibt es mit dem minimalistischen „Dummy“ einen 5 Uhr-morgens- Sinnkrisen-Song mit höchster Depressionsgefahr.

Natürlich machen Voltaire noch jede Menge Fehler. „Tür“ klingt unangenehm nach einem Titelsong des neuesten Andrew Lloyd Webber Musicals, und „Stille“ wirkt teilweise unfreiwillig komisch. Doch darf man solche Fehlgriffe nicht nur verzeihen, sondern in Anbetracht der übrigen Klasse von „Heute Ist Jeder Tag“ mit Erleichterung aufnehmen. Denn welche deutschsprachige Band konnte uns bitteschön gleich mit ihrem Debütalbum vollends überzeugen? Bonn darf jetzt jedenfalls offiziell als Kulturstadt anerkannt werden.

Benjamin Köhler

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