Rezension

Tim Exile

Listening Tree


Highlights: Family Galaxy // There's Nothing Left Of Me But Her And This // Carouselle // Fortress // Don't Think We're One
Genre: Intelligent Dance Music // Synthesizer Pop // Alternative HipHop
Sounds Like: Aphex Twin // Depeche Mode // Otto Von Schirach // Harmonic 313

VÖ: 03.04.2009

Timothy Shaw aka Tim Exile hat mit seinem Live-Mashup der Vereidigung Barak Obamas eigentlich den perfekten Publicity-Grundstein für sein neues Album „Listening Tree“ gelegt. Allerdings scheint der Impuls inzwischen verpufft zu sein. Das Album verdient allerdings jede mögliche Aufmerksamkeit als mit interessantestes Werk des bisherigen Jahres.

Zwischen anno dazumal so genannter Intelligent Dance Music und Synth-Pop, zwischen Aphex Twin und Depeche Mode gestaltet Exile eine spannungsgeladene, experimentelle Popmusik. „IDM trifft EBM“, beschreibt das Album nicht vollkommen korrekt, allerdings erfasst es den Reiz, den es nicht nur auf die bedingt deckungsgleichen Zielgruppen der Industrial-Gothic-Hörer, der Electro-Popper und der Jünger des traditionellen Electro-Experiments aus dem Hause Warp ausüben mag.

Im ersten Drittel des Albums führt Exile ungemein faszinierend die Welten des Synthesizer-Pops und der gebrochenen Beats zusammen. Während zunächst „Don’t Think We’re One“ ausschließlich düster poppig das Album eröffnet, verschränken sich in „Family Galaxy“ Harmonien und Brüche, wird das Hymnenhafte langsam zersetzt, um schlussendlich in Chaos zu enden. Dieser Vernichtung entsteigt „Fortress“ als Synthese beider Album-Elemente. Eine Synthese, die sich unter anderem in „Pay Tomorrow“ fortsetzt und auch von „Bad Dust“ weitergetragen wird. Letzterer erweitert die Hauptelemente des Albums um eine Komponente HipHop Anticon’scher Ausprägung. Genauer erinnert der Track in Teilen an die Themselves. HipHop präsentiert Shaw ebenfalls mit „There's Nothing Left Of Me But Her And This“. Stolpernd und stotternd, aber immer effektiv führt dieser HipHop-Electro-Track rumpelnd und fiepend zur rückkoppelnden Klimax. Exiles Vergangenheit in Drum’n’Bass und Breakcore prägt „When Every Day's A Number“. Sie bildet zudem den Rahmen für die vor Wendungen und Windungen überschäumenden Jahrmarkts-Nummer „Carouselle“ in der sich eine bellende Tom-Waits-Imitation zum knödelnd unterkühlten Wave-Gesang hinzugesellt. Die Düsternis, die über dem ganzen Album liegt, tritt am deutlichsten im Titeltrack zu Tage. Esoterisch sphärisch beginnend drängt sich ein dunkel pochender Beat hinzu, der sich mit langsam auf- und abblendenden Trommelwirbeln abwechselt und den Track zur knödelnden Space-Operette abheben lässt, die sich in „I Saw The Weak Hand Fall“ fortsetzt.

„Listening Tree“ reiht sich ein in das Frühjahr 2009, in dem der Synthesizer-Pop so vielfältig auftritt wie selten in den letzten Jahren. Depeche Modes neues Album erscheint in Kürze, Röyksopp schwelgen ebenfalls in synthetischen Pop-Gefilden, Miss Kittin & The Hacker betonen diese Komponente ihrer Musik auf „Two“, und die Pet Shop Boys präsentieren sich und den Synth-Pop in alter Frische auf „Yes“. Tim Exile jedoch sprengt mit seiner Herkunft von den gebrochenen Beats den Synthesizer- und Wave-Pop-Rahmen, beziehungsweise erweitert den eigenen Klangraum der stolpernden und fehlerhaften Beats um Poppigkeit und Düsternis. Auf „Listening Tree“ präsentiert er sich zunächst als überdrehter Spinner, der mit jedem Backing-Track die Türen zu neuen elektronischen Spielarten aufstoßen möchte. Erlaubt der Hörer den Stücken zu wachsen, offenbart sich einerseits der unterkühlte Wave-Gothic-Gesang des Künstlers als einendes Element der aufgezogenen Schubladen, vor allem jedoch zeigt sich dann die grandiose, umfassende popmusikalische Genialität der Arrangements. So entwickelt sich „Listening Tree“ zu einer vielleicht zeitlosen, vielleicht auch zukunftsweisenden Synthese aus verspulter Electronica und großen Popgesten.

Oliver Bothe

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