Rezension

The XX

I See You


Highlights: Lips // A Violent Noise // Performance // Brave For You
Genre: Dreampop // Indietronic // TripHop
Sounds Like: Jamie XX // SOHN // Portishead // Alt-J // Radiohead // The Cure

VÖ: 13.01.2017

Es hatte sich angedeutet. Spätestens durch Jamie XX‘ „In Colour“, auf dem er auch dem Rest des Trios Platz gab, sich in neuen, elektronischeren, sogar tanzflächenorientierten Sounds zu üben, war abzusehen, dass The XX stilistisch nicht mehr allein versuchen, möglichst große Lücken zwischen einzelnen Tönen aufzureißen. Wie „I See You“ sich nun präsentiert, überrascht dann doch. Die notorisch abwesend wirkende Band (auch öffentliche Auftritte und Konzerte versuchten die drei zu meiden) wirkt nun lebendiger und präsenter als je zuvor. Nimmt man das Debüt der Londoner, mithin ein Meilenstein des letzten Jahrzehnts, als Maßstab, vollführt man nun einen komplett anderen Schritt, als jenen zum Zweitwerk. Versuchte sich „Coexist“ darin, aus möglichst wenigen Elementen und sporadischem Aneinander-vorbei-Singen irgendwie noch hörbare Stücke zu machen, geht „I See You“ in die Vollen. Fast überladen sind die zehn neuen Stücke.

Kein verträumtes „Intro“, bis heute der größte „Hit“ der Band, sondern Fanfaren eröffnen mit „Dangerous“ das Album. Wach sein ab der ersten Sekunde und ja, tanzen kann man dazu auch. „I See You“ ist ein Neuanfang. Anstatt im Nichts zu verharren, ging man einen sehr mutigen Schritt, der sich auszahlt. Eingestreute Samples, clevere elektronische Arrangements, damit verknüpft der typische hallende Gitarrensound alt und neu. Romy Madley Croft und Oliver Sim singen zwar immer noch wechselseitig und nicht zusammen, dennoch nicht mehr aneinander vorbei, wie auf „Coexist“. Statt Entfremdung und „sich nichts mehr zu sagen haben, aber trotzdem unterhalten müssen“ ist es nun wieder das interessante aufeinander zu gehen das die neuen Stücke ausmacht.

Thematisch bewegen sich The XX nach wie vor im Bereich der Sehnsucht nach der Liebe. Gegenseitige Beteuerungen, Angebote, Versprechungen für den Fall, dass es ein Happy End geben möge, was bis zum Ende immer noch ungeklärt ist. The XX erschaffen so eine spannende Atmosphäre, an der sie die Hörerschaft teilhaben lassen und unterhalten diese dabei noch bestens. An nahezu jeder Stelle gibt es etwas zu entdecken, ein eingestreutes Sample – wie David Langs „Just“ im großartigen „Lips“ oder „Do You Feel It“ von den Alessio Brothers in „Say Something Loving“. Lediglich einmal vergreifen The XX sich – der HipHop-Einsatz in „Hold On“ wirkt deplatziert.

Immer wieder sind es kleine Dinge, die einzelne Stücke groß machen. Der sich in einige Höhen schraubende, schiefe Violinenton in „Performance“, welcher auf dem Höhepunkt wegbricht oder das unerwartete Sigur-Rós-Ende des Albums mit „Test Me“. „I See You“ ist für die bislang in sich gekehrte Band ein kompletter Ausbruch aus dem bisherigen Schaffen und wird insbesondere Puristen, die den kühlen Sound des Trios schätzen, verprellen. Der überwiegende Effekt besteht jedoch nicht nur für die Londoner darin, sich freigemacht zu haben und ein lebensbejahendes, gar streckenweise tanzbares und fröhliches Drittwerk zu präsentieren, an dem man viel Freude haben kann.

Klaus Porst

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"Say Something Loving"
"On Hold"

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