Rezension

The Walkmen

You & Me


Highlights: In The New Year // Red Moon // Canadian Girl // I Lost You // If Only It Were Time
Genre: Indie/Retro Rock
Sounds Like: The Velvet Underground // The Strokes // Bob Dylan // Calla

VÖ: 17.10.2008

Als kurz nach der Jahrtausendwende in New York mit The Strokes das große Retro-Revival begann, hatten deren „Is This It“ im Nu sämtliche Massen erobert. Wie müssen sich da wohl The Walkmen gefühlt haben? Deren Debüt erschien fast zeitgleich, wurde von Kritikern zwar ob der Experementierfreudigkeit gelobt, versank aber wahrscheinlich gerade deshalb sang- und klanglos in den hintersten Regalreihen des Plattenladens. Dabei können The Walkmen sich das Prädikat „retro“ als eine von wenigen modernen Bands ohne rot zu werden an die Brust haften. Authenzität braucht man anhand steinzeitlicher Aufnahmetechniken und Hamilton Leithauser´s Stimme, die direkt aus den 60ern zeitgereist sein muss, erst gar nicht infrage zu stellen.

The Walkmen hatten schon immer Hits auf ihren bisherigen drei Alben vertreten. Man denke nur an „The Rat“ oder „Lost In Boston“. Im Gegensatz zu ihren erfolgreicheren Lokalrivalen, waren die fünf New Yorker aber trotzdem mehr der Melancholie und Romantik zugetan. Wo andere Bier verschütten und die Party zelebrieren, widmen sich The Walkmen eher der After Hour und dem Rotweinschwenken. Auf „You & Me“ beschäftigt sich die Band nun erstmals vollständig mit den Gedanken, die man so hat, während man allein an der Bar das letzte Glas leert. Es geht um Sehnsucht nach der Liebsten, nach besseren Zeiten und der Sinnsuche des Lebens. Leithauser zelebriert sein Coming Out als hervorragender Lyriker auf einer Platte, die nicht die radiotauglichsten, aber mit Sicherheit schönsten Songs der Band zu bieten hat.

„Donde Está La Playa“ beginnt leicht flamengo-angehaucht, explodiert dann aber im Refrain. Leithauser haut Zeilen wie „There is still sand in my suitcase. There is still salt in my teeth.” raus und spätestens hier lehnt man sich gemütlich im Sessel zurück. Das ist musikalischer Seelenbalsam, der im weiteren Verlauf schön weiter verrieben wird. Die erste Single „In The New Year“ hat die beste Orgelpassage der letzten Jahre im Gepäck und überhaupt...die Orgel klingt, als ob sie direkt in den heimischen vier Wänden gespielt wird. Große Aufnahmekunst. Bei „Seven Years Of Holidays (For Stretch)“ dominiert das Schlagzeug, tritt aber immer mal wieder zur Seite, um ein paar versteckten Streichern das Feld zu überlassen.

Trotz der für diese Art Musik erstaunlichen Länge von 14 Songs, fällt allenfalls „Postcards From Tiny Islands“ gegenüber dem Rest ein wenig ab. Im Mittelteil geben sich sogar gleich zwei absolute Ausnahmesongs die Klinke in die Hand. Der subtile Walzer von „Red Moon“ wird durch Bläser mächtig aufgepeppt und der Soul des wunderbar romantischen „Canadian Girl“ ist heutzutage eigentlich gar nicht mehr machbar. Und bitte meine Damen, glaubwürdiger als „I Lost You“ klang bittere Reue über alkoholbedingtes Fehlverhalten noch nie. Eine herzlose Frau muss man da sein, um dem Leithauser da nicht zu verzeihen, besonders wenn er mit „If Only It Were True“ den Übersong des Albums folgen lässt und sein letztes Inneres nach außen kehrt. Da läuft es einem eiskalt den Rücken runter...

Einen besseren Zeitpunkt hätten sich The Walkmen für den Release von „You & Me“ nicht aussuchen können. Für die anstehenden kühlen Herbstabende ist das Album der perfekte Begleiter, dem man nur ein wenig Zeit zum Entfalten geben muss und die haben The Walkmen nach acht Jahren Schattendasein mehr als verdient.

Benjamin Köhler

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