Rezension

Telefon Tel Aviv

Immolate Yourself


Highlights: Helen Of Troy // Your Every Idol // You Are The Worst Thing In The World // Immolate Yourself
Genre: Electropop
Sounds Like: Depeche Mode // A-Ha // Fischerspooner // M83 // Apparat // New Order // Junior Boys // Circlesquare // Erlend Øye // Whitest Boy Alive // Polarkreis 18

VÖ: 23.01.2009

Das dritte Album von Telefon Tel Aviv trägt bereits auf dem Cover offensiv vor sich her, wodurch es sich definiert: Verwobene Strukturen und offenbare Schönheit, verblasste analoge Farbgebung der Achtziger des 20sten Jahrhunderts und Ideale des 21sten Jahrhunderts. Joshua Eustis und Charles Cooper präsentieren sich auf „Immolate Yourself“ als elektronische Schuhstarrer mit Verständnis für den großen Pop-Appeal.

Eine klangliche Revolution – oder ein scheinbarer Umsturz – bekannter Klangmuster, die vielfach von jeder Neuerscheinung erwartet wird, die manchmal allein in der Lage scheint, einem Album die verdiente oder nötige Aufmerksamkeit zu sichern, lässt sich von dieser Musik nicht erwarten. Nichtsdestotrotz fügen die beiden Chicagoer bei ihrem Debüt auf BPitch Control die bekannten Bestandteile zu einem faszinierenden, begeisternden, einfach gefallenden Mix. Wieso muss auch immer alles neu wirken? Mit einem unwahrscheinlichen Gespür für große Pop-Melodien oder aber einfach mit dem gut geschulten Ohr für diese schaffen Eustis und Cooper zehn Tracks, die bei jedem Hören neue Eigenschaften zeigen, die immer wieder aufs Neue erschlossen werden können. Dies gelingt, da die poppigen Melodien, die gelegentlich haarscharf am Kitsch vorbeischrammenden Ohrwurmkerne der Stücke unter vielen, tiefen, dicht mit einander verwobenen Schichten versteckt werden. Eine Aussage der beiden Musiker aufgreifend, verleihen verschiedenste Filterprozesse den Stücken verschiedene Grade der farbigen Sättigung, versehen sie mit Schlieren, lassen sie grobkörnig, kratzig und staubig, verzerrt erscheinen. Nicht die Schönheit der Melodie wird direkt wahrgenommen, vielmehr versteckt diese sich in einer interessanten klanglichen Landschaft, die erst erforscht werden muss. Elektronisches Shoegazing trifft auf einen Pop, der ganz tief in den 80ern wurzelt, der ebenso an Depeche Mode wie A-Ha wie New Order erinnert.

Eine solche Reminiszenz an Elemente des kollektiven Popkulturbewusstseins verbindet Telefon Tel Aviv mit den Junior Boys. Es sorgt zudem manchmal für das Gefühl, die Musik plätschere so an einem vorbei. Eine potentielle Beleidigung, die aber ebenso häufig durch Momente des plötzlichen Aufhorchens gebrochen wird. Läuft die Musik zunächst nur als Begleitung, dringt sie unerwartet tiefer in das Bewusstsein ein, fesselt und fordert jäh volle Aufmerksamkeit. Seien es die fokussiert knackigen, runter gebremsten Beats in „Your Mouth“ oder der pulsierende, stetig sich entwickelnde und um sich selbst kreisende Synthesizer in „Made A Tree On The World“, sie geben den Songs eine verzehrende Wirkung. Sollte dieser Effekt bis zu „Made A Tree“ noch nicht eingetreten sein, zieht spätestens das düster dröhnende, den Pop nahezu vollständig zur Seite schiebende „Your Every Idol“ in seinen Bann. Überhaupt ersteht die Platte im letzten Drittel quasi neu aus der eigenen Asche. Aus dem ausklingenden „Your Every Idol“ erhebt sich das erhabene „You Are The Worst Thing In The World“ als zweiter großer Hit des Albums neben dem an A-Ha gemahnenden „Helen Of Troy“. Den Abschluss macht der atmosphärisch düstere Titeltrack.

Zwischen den vielen Synthesizer-Schichten und den Melodien und Beats der 80er Jahre scheint immer wieder die Vergangenheit von Telefon Tel Aviv mit glitchigen Anmutungen und analogen Beatstrukturen durch. Die Hauptbestandteile aus extremer Zugänglichkeit und klangschaftlicher Unterkühlung, aus Bombastpop und Shoegazing mit immer elektronischen Mitteln mögen vollkommen vergangen wirken, allerdings erhebt gerade diese Verbindung zweier potentiell angesagter Revivals „Immolate Yourself“ zu einem wirklich interessanten Album. Seine Veröffentlichung auf BPitch Control mag zunächst nicht vollkommen passend erscheinen, aber sein in gewisser Weise extrem berlinesker Klang gibt dieser doch Schlüssigkeit.

Oliver Bothe

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