Rezension

Samy Deluxe

Dis Wo Ich Herkomm


Highlights: Übers Geld (Skit) // Musik Um Durch Den Tag Zu Komm // Stumm (Xenja)
Genre: HipPop
Sounds Like: Curse // Jan Delay // Xavier Naidoo // Roger Cicero

VÖ: 27.03.2009

Er hat das Talent am Mikrofon, er hat (meistens) die Beats, und solange die Texte auf "Dis Wo Ich Herkomm" ignoriert werden, liefert Samy Deluxe mit seinem dritten Solo-Album ein knapp überdurchschnittliches HipPop-Album deutscher Bauart. Dummerweise lassen sich die Schwächen der Verse, die sich als Erwachsenen-Rap geben, nicht übersehen. So wird "Dis Wo Ich Herkomm" zum Rap für den aufstrebenden Mittelstand, Musik für die Studentenfete der zukünftigen Manager der niederen Verwaltungsebene, der angehenden systemtreuen, sich einmal gehen lassenden Staatsanwälte und HNO-Ärzte im Werden.

Abgesehen vom Roger-Cicero-Swing "Sprech Wie Ich Sprech" gehen Produktion und Beats mindestens in Ordnung, erreichen gelegentlich aber sogar eine erstaunliche Qualität. Das "Intro" und "Musik Um Durch Den Tag Zu Komm" schließen beim klassischen Dynamite-Deluxe-Sound an, bevor "Dis Wo Ich Herkomm" oder "Deshalb" mittels reflektierten Arrangements, süßlicher Streicher und Glockenklängen soulig überzeugen. Der Beat blubbert in "Vatertag" düster reduziert voran und hüpft fröhlich plantschend durch "Oma Song". Amerikanisch synthetisch werden "Erster" und "Superheld" präsentiert. Musikalisch schielt die weitgehend reggae- und soul-infizierte Interpretation des HipHop zwar deutlich auf Masse und Radio, doch funktionieren die synthetische Dancehall-Hymne "Stumm" oder auch der Roots-Reggae "Sowieso Schwer" perfekt. Die Gute-Laune-Atmosphäre von "Bis die Sonne Rauskommt" oder "Blick Nach Vorn" mag potentiell gezwungen wirken, stört aber nicht.

Die Texte jedoch ... . Während der erste vorab zur Werbung genutzte Song "Bis Die Sonne Rauskommt" ein harmloser Sommerhit ist, schrammt "Universalkünstler" Samy im Titeltrack mit Zeilen wie "Und wir haben kein Nationalstolz und das alles bloß wegen Adolf – ja toll schöne Scheiße der Typ war doch eigentlich 'n Österreicher" haarscharf am Geschichts-Revisionismus vorbei. Während Samy in ersterem also die Claudia Roth oder den Hirschhausen gibt und Deutschland bunt und "happy" machen will, verkörpert er in letzterem eher den Stammtisch zwischen Pofalla und Pocher. Freundlich formuliert mangelt es dieser Verbal-Diarrhö nur an Subtilität und Abstraktion. Aber die inhaltliche Banalität der Selbstfindung in "Wer Bin Ich", des Diss' gegen Vater Staat, biologischen Vater und Gott in "Vatertag" und der Reflektion des Vaterseins in "Wir Sind Keine Kinder mehr" verdeutlicht, dass Samy nicht in der Lage ist, seinen Texte eine nötige inhaltliche Meta-Ebene hinzuzufügen. "Oma Song", "Superheld", "Erster", "Stumm (Xenja)" walzen die gleichen Themen noch mal platter. Samy, die Stimme des einfachen Michels und der einfachen Michaela, biedert sich der Volksseele an. Er ist bestrebt sie und insbesondere die der jungen Generation zu berühren, wobei er sich weit aus den für ihn geeigneten Gewässern herauswagt und in Regionen abdriftet, die politisch im populistischen Niemandsland liegen. Das gilt nicht nur für die Österreich-Zeile, die natüüürlich ganz anders gemeint ist, als der Political-Correctness-Betrieb sie wahrnimmt.

Es ist bezeichnend, wenn ein Zwischenspiel zu den Höhepunkten eines HipHop-Albums gehört. Aber auch "Übers Geld (Skit)" überzeugt vornehmlich durch die Produktion. Multiple kurze Samples aneinandergereiht schaffen einen Funk-Soul-Rap-Kracher – aus einem Skit. Immerhin heben sich die Verse hier ein wenig von der bürgerlich gesetzten Pennäler-Lyrik mit Bauchansatz der übrigens Tracks ab.

Er hat den Flow, die Beats, doch zu sagen hat er genauso wenig, wie all die Xaviers oder Silbermonde, Udos, Roger Ciceros und Jans, die aus der Lounge heraus die Befindlichkeiten der ominösen Mitte zu erfassen versuchen. Zwischen Jammern und Über-die-Stränge-Schlagen, zwischen "Die da oben rauben uns das letzte Hemd" und "die faulen Arbeitslosen", zwischen "meinVZ" und "NEON" werden Platituden als Reife und gesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft verkauft. Wenn die einzige Wahl die zwischen dem Samy Deluxe auf "Dis Wo Ich Herkomm" und den Kindergartenschrecken von Aggro und Konsorten ist, ... hör ich lieber gar keinen deutschen HipHop mehr.

Oliver Bothe

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