Rezension

Rachel Unthank & The Winterset

The Bairns


Highlights: My Donald // Newcastle Lullaby // Blue's Gaen Oot O'the Fashion // Sea Song
Genre: Folk
Sounds Like: Joanna Newsom // Joel Frederiksen // Will Oldham // Sigur Rós

VÖ: 14.11.2008

Bereits 2007 im UK erschienen und auf der Shortlist für den Nationwide Mercury Price 2008, beschwört das zweite Album der Schwestern Rachel und Becky Unthank mit ihrem Winterset die Referenz Joanna Newsom lautstark hervor. Vor allem der häufig zarte, zerbrechlich zitternde Gesang, der manchmal so unsicher wirkt, verursacht dies. Allerdings bezieht sich die Musik auf „The Bairns“ viel stärker auf britische Folktraditionen und eine Überlieferung, die bis zum Minne- und Bänkelsang reicht, als dass es in die Schublade einer bösartig „Weird“- oder „Freak“-Folk genannten Musik passt. Hierdurch erinnert das Album nicht nur an klassische Folkreferenzen, sondern auch an die so genannte „Alte“ Musik. Rachel Unthank & The Winterset scheinen ebenso heimisch im Pub um die Ecke, wie im klassischen Konzertsaal wie auf der mittelgroßen Bühne eines Open-Air-Pop- und Rock-Festivals.

Im Zentrum der Stücke steht immer der Gesang. Begleitet wird er in der Regel nur von Fiedel und/oder Klavier. Weitere Streicher sind selten und einziges wiederkehrendes ergänzendes Element sind als Perkussion genutzte Tanzschritte. In dieser Weise inszenieren Rachel Unthank & The Winterset gesammelte traditionelle Gesänge, Robert-Wyatt- und Bonnie-’Prince’-Billy-Coverversionen sowie Stücke der (nunmehr ehemaligen) Winterset-Pianistin Belinda O’Hooley.

Das Ergreifende an „The Bairns“ in Worte zu fassen, fordert, einzelne Momente aus einem Gesamtkontext herauszugreifen, sie so zu zerstören, oder aber von Adjektivkaskaden überflutet zu werden. Am Anfang steht „Felton Lonnin“. Ein Barjazz-Piano-Akkord, gefolgt vom im northumbrischen Geordie-Akzent gesungenen Versen, so weit, so vergleichbar mit all den Folk-Meisterwerken der letzten Jahre. Doch dann: Besagte High-Heel-Perkussion setzt ein und erzeugt ein traumhaftes, gespenstisches Umfeld. Fallenlassen und sich so viel verhexter Zerbrechlichkeit ergeben. Im weiteren Verlauf des Albums bemühen sich die nordost-englischen Zauberinnen, den Hörer mit nur von Vogelgezwitscher oder Ukulele begleiteten Miniaturen zu fangen („Lull I“, „My Lad’s A Canny Lad“, „A Minor Place“, „Can’t Stop It Raining“, „Ma Bonny Lad“) und ihn mit vielschichtig arrangierten, herzergreifenden, Kälte und Wärme, Modernität und Tradition abwechselnden, musikalischen Spiralen zu umwinden, ihn nicht mehr loszulassen. Nicht nur das eiskalte, neblige Küstenweiten heraufbeschwörende „Newcastle Lullaby“ besitzt in seiner vordergründigen spröden Brüchigkeit eine unwahrscheinliche musikalische Energie. Wo „Felton Lonnin“ und „Newcastle Lullaby“ allerdings vor allem für eine moderne Folk-Interpretation stehen, wärmen die klassisch inszenierten, aber immer spannenden „Fareweel Regality“, „Ma Bonny Lad“, „Blackbird“ und „Blue’s Gaen Oot O’the Fashion“ ursprünglich erdig und geben – möglicherweise auf eine leicht regressive Art und Weise – Kraft. „Whitethorn“ verbindet den modernen Folk mit der Wärme der klassischeren Interpretation.

Den tränenrührenden Höhepunkt auf „The Bairns“ bildet jedoch die Interpretation von Robert Wyatts „Sea Song“. Wyatt selbst soll gesagt haben, Unthank und Mitmusiker seien „wie der Morgentau, der noch nicht verdunstet ist“. Der hier präsentierte Vortrag seines „Sea Song“ allerdings verströmt keinerlei Leichtigkeit wie Tau, vielmehr versinkt der Hörer vier Minuten lang in zutiefst magischer Traurigkeit, gibt sich willenlos Musik und Gesang hin, bevor die Fiedel ihn langsam wieder ans Tageslicht führt.

„The Bairns“ gefällt durch die Ambivalenz aus perfektionistischen, ergreifenden Arrangements und den Hauch von Unvollkommenheit, der Gesang und Fiedel begleitet. Es erscheint, als haben die Musikerinnen tatsächlich ein Album allein für sich und Freunde schaffen wollen und jede verkaufte CD, jeder gebuchte Auftritt passiere halt, sei ein Bonus. Das Album mag einen Zeitgeist, eine Folkbewegung ansprechen, doch tut es dies anscheinend – oder vielleicht nur scheinbar – ungeplant und ungewollt.

Oliver Bothe

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