Rezension

Pendikel

Don't Cry Mondgesicht


Highlights: Falsche Freunde // Fall B // Gewinner // Don't Cry Mondgesicht
Genre: Indie-Noise-Prog-PostHardcore-Pop-Rock
Sounds Like: Kante // Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs // Radiohead // At The Drive-In // Voltaire

VÖ: 08.09.2006

Mit dem bewussten Wahrnehmen der Veröffentlichung von Pendikels aktuellem Album „Don’t Cry Mondgesicht“ schließt sich ein Kreis. In mehrerer Hinsicht, vor allem aber, weil es meinem Musikgeschmack einen Rahmen gibt. Der Introducing Sampler Volume 6 enthielt den Song „Vielleicht“ von Pendikels Album „Fu ruft Uta“; die Introducing Sampler Reihe beeinflusste meine/n Musikkenntnis/-geschmack in hohem, wenn nicht entscheidendem Maß. Die angesprochene Volume 6 enthielt übrigens ebenfalls Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Hip Young Things, Was Wa Wa und Kreidler.

Damit – mit Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs – ist auch schon ein Name gefallen, der eine Einordnung der den meisten so unbekannten Band Pendikel ermöglicht. Einer deutschen Szene entstammend, die durch den Boom Hamburger Bands profitiert hatte, aber gleichzeitig versuchte, jenseits von Tocotronic ihre Musik zu produzieren und zu präsentieren. Wenige der Gruppen, die dies versuchten, konnten – wenn auch u. U. nur kurzfristig – von ihrer Musik leben; mir fallen eigentlich nur Surrogat – die einen Sonderstatus einnehmen – sowie Kante ein.

Kante und Surrogat stellen weitere Referenzen dar, die bezüglich Pendikel genannt werden können. Alle drei Bands lassen sich in einem Post-/Prog-Rock-Kontext hören; Surrogat und Pendikel stehen dazu noch in einer Noise- und Post-Hardcore-Tradition. Um alle möglichen Bezüge, die mir auffallen, genannt zu haben, seien noch Radiohead und der Begriff Emo an sich erwähnt.

Auf diesem sehr weiten Spielfeld aus Härte und Lärm, Experiment, Pop und Middle of the Road Rock bewegt sich „Don’t Cry Mondgesicht“. Die einzelnen Songs messen ebenfalls die gesamte Weite dieses Spektrums ab. Da gibt es die ruhigen Indie-poppigen Nummern wie „Falsche Freunde“, „Le Chanson Parfait“ und „Arbeiterlied“, von denen „Falsche Freunde“ sich sogar in ein Strophe-Refrain-Strophe-Muster pressen lässt; diese ruhigen Nummern stehen neben wütend lautem, wie der „Zitatmaschine“, „Fall B“, „Nach dem Piepton“ und „Gewinner“, sowie den schwer verdaulich experimentellen Stücken, die das Album eröffnen („Dead City“) und ihm den Namen geben („Don’t Cry Mondgesicht“).

Den Rahmen definieren vor allem zwei Eigenschaften der Platte. Zum einen ist das die sperrig laute Verzweiflung, die Musik und Gesang bei Pendikel transportieren, das war schon bei „Vielleicht“ auf dem Introducing Sampler so, zum anderen ist es Carsten Sandkämpers unglaublicher und unpoppiger Gesang. Wahrscheinlich fühlt er sich beleidigt, wenn ich diesen als Emo bezeichne, aber doch ist dies eine allgemein verständliche Beschreibung, … die zudem mehr oder weniger trifft. Dieser Gesang artikuliert Texte, die von dem einen Gedanken geprägt sind: In Ordnung ist hier nichts! Weder im eigenen Umfeld, noch im großen global-nationalen.

In Verbindung mit der Musik aus wunderbar zarten Melodien und immer wieder aber auch dem ganz großen Drama, der großen musikalischen Geste, ergeben sich Hymnen gegen das, was ist, immer aber mit dem Wissen, um die eigene Untätigkeit und das eigene Unvermögen. Dass schon der Protagonist des ersten Stücks „Dead City“ vom Dach springt, und das ohne großes Trara, „Hätte er das gewollt, hätte er noch geschrien, doch er flog leise wie Vögel, oder Steine, oder Tränen tief“, dass also die Eröffnung des Albums gleich stumm suizidal endet, stellt für uns klar, wir hören hier kein erbauendes Pop-Werk. Andererseits jedoch ist es der negative Höhepunkt zu Beginn. Damit ist das Wichtigste gesagt, wir müssen nicht mehr überlegen, was soll das?

Diese Klarheit dessen, was uns erwartet, erzeugt „Dead City“ auch musikalisch. In knapp acht Minuten begrüßt uns zunächst nur die einfache Klaviermelodie, über die Carsten Sandkämper weniger singt als proklamiert. Dies geht direkt über in den zweiten Songabschnitt, in dem er erst zärtlich und lieblich poppig singt, bis die Gitarre einsetzt, alles kippt, verzerrt, sägt, rückkoppelt und dennoch nicht losbricht, sondern rumfrickelt, die Geschwindigkeit leicht gesteigert dem Selbstmord entgegenstrebt. Im Hintergrund erzeugt ein Synthesizer Spannung, während im Vordergrund, alles zurückgenommen wird, den Moment herauszögert, der Song ist gerade halb vorbei, bis der Moment da ist, und Carsten Sandkämper und Oliver Klemm auf der Klippe stehen, unbeteiligt zuschauen, um dann anklagend verquer und doch sanft fragen lassen „Hätte man das nicht …“. „We’ll meet again, Dead City, my friend. Homewards again, Dead City, my friend.“

Damit fängt das Album fordernd an und wird uns weiter fordern. Sich in dieses Album zu verlieben, verlangt Arbeit. Aber auch „Kid A“ und „Die Tiere Sind Unruhig“ erobert man nicht in einem Hördurchgang. Dies ist die gute Seite, die gute Seite des Bewusstseins und der Musik. Wenn Sandkämper bei „Zitatmaschine“, „Plan B“ und „Nach dem Piepton“ die Wortspielkasse und das Phrasenschwein zum Überlaufen bringt, steckt da soviel Ironie und vielleicht sogar Zynismus drin, dass es schmerzt. Die Schmerzen, die Text und Musik fast durchgängig verbreiten, mildert – allerdings nur musikalisch – die melodisch poppige Schönheit von „Falsche Freunde“ und „La Chanson Parfait“.

Die Spex, die „Don’t Cry Mondgesicht“ zusammen mit dem "Aufstieg und Fall der Gruppe Sport“ zum doppelten Album des Monats September 2006 erklärt, nennt das ganze übrigens Setzkastenpop. Ein schönes und äußerst passendes Wort ist das. Hoffen wir, dass sich ein Publikum findet (das von Sport oder von Kante z. B., vielleicht sogar die Jugendlichen aus dem Anhang von Madsen, eher nicht die alt gewordenen Hardcore-Freunde), das sich für Pendikel erwärmen kann. Zu fordern, diese Platte sei die der Woche, wäre verrückt, aber: Sie ist so verdammt hörenswert und unglaublich gut, dass ich nicht zu einer elitären Streberminderheit gehören möchte, die sie gehört hat und bereit ist, sie gut zu finden.

Oliver Bothe

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