Rezension

Gang Gang Dance

Saint Dymphna


Highlights: Blue Nile // House Jam // Desert Storm
Genre: Avantgarde-Pop-Electro
Sounds Like: Skeletons // Fujiya & Miyagi // Animal Collective // Pivot // Autechre // Mira Calix // Bobo In White Wooden Houses

VÖ: 24.10.2008

New York regiert die Welt. Ein Eindruck, der sich in den 00er Jahren zumindest musikalisch aufdrängt. Allein in überschaubar kurzen Zeiträumen ließen sich als Beleg Yeasayer, Vampire Weekend und Gang Gang Dance anführen, von TV On The Radio ganz zu schweigen.

Das aktuelle Gang-Gang-Dance-Album "Saint Dymphna" pendelt zwischen den Klassifizierungen "Album des Jahres" und "Schrott". Folgerichtig entwickelt es sich zu einer zwiespältigen Angelegenheit. Neben vielen Punkten auf der Habenseite finden sich am gegenüberliegenden Ende der Skala entweder die Adjektive "unfokussiert" und "fahrig" oder aber die einzelne Bewertung "verkopft". Entweder wurde also von den vier New Yorkern zu viel gewollt und nicht klar durchdacht in den Arrangements, oder es soll tatsächlich alles genau so sein, und die Kompositionen verlieren jede Emotionalität durch das übertriebene Planen und Durchführen im musikalisch-kreativen Prozess.

Diese – nehmen wir mal an – durchplanten und unter Umständen deshalb steril wirkenden Klanglandschaften finden sich neben Postpunk, Grime und stolperndem Pop. Steril, abweisend und sperrig sind diese Soundscapes, während die Ausflüge in Subgenres des Pops durchaus klassischen Songstrukturen folgen und damit vordergründig einfacheren Zugang bieten. Allerdings fällt dieses klangliche Entgegenkommen gelegentlich zu einfach aus. Das an Bloc Party und Foals gemahnende "First Communion" und das nach "Dizzee trifft M.I.A." klingende "Princes" mit Tinchy Stryder am Mikrofon wurden zwar perfekt (zu perfekt?) ihren jeweiligen Genres angepasst, erschließen sich deshalb sofort, stehen aber doch im Kontrast zum Rest des Albums. Da hilft es auch nicht, wenn in "Princes" um vordergründige Grime-Beats sphärische Klangschichten gehäuft werden und auch Sängerin Liz Bougatsos Stimme sich im Hintergrund um Stryders Raps wickelt.

Diese Beschreibung erfasst bereits den erwähnten Rest des Albums. Primär elektronisch produziert (Synthesizer, Keyboards und PC), klaubt die Band zwischen Orient, Afrika, Karibik, UK-Electronica und Rock vieles auf und versucht, ihr Album in ein Gewand zu kleiden, das zwischen Post-Rock und Glitch in den Schrank gehängt gehört. So sich zwischen Pivot und Autechre in den Warp-Label-Katalog drängend, kommt ein Großteil der Tracks auf "Saint Dymphna" doch eher unterkühlt daher.

Dabei künden die konvektiv blubbernden Synthesizer im eröffnenden "Bebey" zu Beginn noch Großartiges an. Doch schon diese außerweltichen Folklore-Klänge verlieren nach der Hälfte des Tracks deutlich an Reiz. Der fließende Übergang in das post-punkige "First Communion", einen der wenigen Tracks, in denen Liz Bougatsos Gesang sich wirklich frei entwickeln kann, gehört wieder zu den begeisternden Momenten des Albums – wenn die Foals und Bonde Do Role zusammen jammen würden, mit entsprechender Nachhilfe von Pivot –, entstünde wohl ähnliches. "First Communion" als Ganzes lässt sich als besonders einfach verständlicher Song loben, ebenso gut schimpfte er sich jedoch auch herkömmlich und uninspiriert. "Blue Nile" verdeutlicht endgültig die Vielfalt der Klangstrukturen, des Ideenreichtums der vier Gang Gang Dancer. Arabisch angehauchte Technostrukturen über angedubbten Beats liefern den Beweis: Es waren nicht nur falsche Versprechen, die wir in "Bebey" hörten. Was jedoch die Thom-Yorke-Imitation am Ende soll, bleibt unklar. Nachfolgend kann sich der eine Hörer von "Vacuum" an My Bloody Valentine erinnert fühlen, der andere wird den Track nur als nervenaufreibende und langweilige Klanginstallation, als Klangeskalation wahrnehmen.

Interessant ist das, aber auch schon tausendmal spannender gehört worden. Auf den störenden Grime-Ausflug "Princes" folgt das verspielt sphärische, sowie elektronisch dahinhopsende "Inners Pace". Nicht vollkommen schlüssig und fesselnd eröffnet es doch die zweite, die bessere Albumhälfte. Multiple Rhythmen verschränken sich und ergeben ein post-rockiges, industriell angehauchtes Ambient-Gerippe.

Den unmittelbaren, alles andere in den Schatten stellenden Höhepunkt auf "Saint Dymphna" bildet "House Jam". Selbst wenn Liz Bougatsos dem bösartigen Hörer zu sehr nach Madonna oder Annie klingen mag, ihr – hier einmal unverzerrter und glasklarer – Gesang, die verschleppte 80er-Jahre-Pop-Rhythmik, das überraschende, unerwartete Zusammenspiel aus housig-poppigem Synthesizer und Rock-Gitarre, aus jazz-rockigem Schlagzeug und astreiner Popmelodie, aus orientalischer Melodik und Elektroclash lassen staunen, begeistert sein ... und mit dem Kopf vor die Wand schlagen, weil es von dieser Großartigkeit so wenig mehr auf dem Album gibt. Abschließend liefern Gang Gang Dance jedoch noch weiteres – wenn auch anders – Großartiges. Die Klangcollagen in "Desert Storm", die experimentellen Melodie- und Rhythmusbögen und Bougatsos schrille Vocals verstören und betören. Ruhiger und versöhnlicher, aber kaum weniger experimentell, meditativ und musikalisch bedröhnend beendet nachfolgend "Dust" das vierte Gang-Gang-Dance-Album.

Großartig und nervig zu nahezu gleichen Teilen, innovativ und häufig doch nur geschickt zitierend, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, die nötige Aufmerksamkeit bekommen, das alles trifft hier zu. An anderer Stelle im weltweiten Netzwerk wird "Saint Dymphna" als "Hipster Shit" bezeichnet, um so das eigene Entzücken selbstironisch zu kommentieren. Begeisterung ist durchaus angebracht, doch ein wenig kritische Distanz ist bei diesem Album ebenso notwendig. Es bringt nichts, vergossener Milch nachzuweinen, aber Gang Gang Dance haben es definitiv versäumt, etwas wirklich Dauerhaftes zu schaffen. Nett ist "Saint Dymphna" sicherlich, aber kaum mehr. Tatsächlich hippe Scheiße also, für den Augenblick grandios und der Tage dann vergessen.

Oliver Bothe

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