Rezension

Flowerpornoes

Wie oft musst du vor die Wand laufen bis der Himmel sich auftut?


Highlights: Rock'n'Roll // Österreich // Sigmund Grimm
Genre: Deutschpop
Sounds Like: Blumfeld // Tilman Rossmy // Tom Liwa

VÖ: 02.03.2007

Blumfeld sind tot, lang mögen die Flowerpornoes leben.

Ich weiß nicht, ob jemand ernsthaft auf ein Comeback der Flowerpornoes gewartet hat. Tom Liwa veröffentlichte in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit Alben. Gibt der bisherige Output Liwas und der Band nicht genug Material für all die Spätgeborenen, gute Musik zu entdecken?

Natürlich gibt es auf „Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?“ Momente, die sich auf Liwas Solo-Alben nicht fanden, aber in weiten Teilen dominieren doch Liwas Lyrik und die sanfte Melodieführung, die sein Solo-Werk ausmachten. Insbesondere stechen die Spoken-Word-Passagen hervor. Insofern ist es verwunderlich, wenn Liwa mitteilen lässt, das Album gehöre mehr dem nachgewachsenen Publikum als ihm selbst. Mir erscheint es doch, als spräche es vor allem die nostalgischen Hörer an, die Mitte der 90er auch das Tim Isfort Orchester im Vermissen der Flowerpornoes hörten – Isfort zeichnet übrigens für die Streicher auf „Wie oft …“ mit verantwortlich.

Die „Alten“ werden es wohl ebenfalls sein, die die Blumfeldauflösung am meisten bedauern, und somit umso mehr nach dem Flowerpornoes-Comeback greifen. Blumfeld und Flowerpornoes funktionierten früher am ehesten als Kreuzreferenz, nicht als direkter Vergleich. Doch bestehen heute zwischen den mittleren Blumfeld und den neuen Flowerpornoes auch musikalische Ähnlichkeiten. Vor allem glichen sich die Eigenschaften der Sprach- und Gesangstechniken der beiden Frontmänner an. So stelle ich – und nicht nur ich – mir während „Mikado“ oder „Nicolas H.“ häufiger die Frage, ob ich hier nicht eher Jochen höre als Tom. Oder wie „schunkel“ es im Forum der Intro formuliert: „Toll Tom so sprechen zu hören wie Jochen klingt wenn er wie Tom klingt. Oder wie ist das?“

Genau - wie ist das? So ist das, das Album ist so einfach Flowerpornoes und Liwa, das es im ersten Moment eher kühl vorbeigleitet. Ich kenne das, ich mag das, aber nicht mehr. Aber beim zweiten Hören…

…wenn die Gitarre hallt, das Klavier klingt, Liwas Stimme einsetzt: „Hier kommen die Jungs mit den Ego-Problemen und ihrem Hang zu arroganten Frauen. Hier kommt das Leben und was davon übrig blieb, vielmehr als mir lieb ist, hier kommt, hier kommt Rock’n’Roll.“ Musik für romantisch verzogene Männer, für Nerds, für Kerle, die lieber über Musik philosophieren, als sich mit Mädchen zu unterhalten. Das wären zumindest vor elf Jahren passende Klischees gewesen, heute ist alles anders, heute können Nerds Musik und Frauen unter einen Hut bringen. Und haben mit „Kerstin Loose“ den offiziellen Nachfolger für „Romy Schneider Augen“ von Tilman Rossmy gefunden. Natürlich rockt das hier viel mehr als Rossmys traumhafte Ballade. Dafür folgt dann mit „Zahnarzttochter“ genau eine solche für die Großstadt. Rossmy und Begemann werden sie mit Wohlgefallen hören. Überhaupt zeigt „Wie oft …“, wie sehr Liwa, Rossmy, Begemann ein Triumvirat des poetischen Deutschpop waren und vielleicht noch sind.

Liwa beweist jedoch zudem, wie zwiespältig deutsche Texte manchmal sind (z. B. „Tänzer“). „Sigmund Grimm“ ist musikalisch und textlich toll, scheint aber gelegentlich peinlich und lässt verstehen, warum die Plattenfirma Virginia Jetzt!s Thomas Dörschel als Belastungszeugen anführt. Die musikalische Ideenvielfalt lässt darüber hinweg sehen und die Inszenierung des Songs genießen.

Die Plattenfirma zielt mit Referenzen wie Virginia Jetzt! und Klee offenbar auf die Nachgeborenen, die vor zehn Jahren noch nicht „bereit“ für Liwas Werk waren. Sinnvoller jedoch richtete sie ihr Augenmerk auf die, die schon wissen, worauf sie sich einlassen, bzw. deren Altersgenossen, die schon infiltriert wurden. Für die ist dieses Album eh eine Pflichtauseinandersetzung. Die anderen können noch etwas entdecken, und mögen „Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?“ als Ausgangspunkt nehmen.

Oliver Bothe

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