Rezension

Fatima Al Qadiri

Brute


Highlights: Breach // Aftermath // Fragmentation
Genre: Experimental // Techno
Sounds Like: Burial // Zomby // The Knife

VÖ: 04.03.2016

Ein Long Range Acoustical Device (LRAD, oder zu deutsch: Schallkanone) ist eine akustische Waffe, die bereits von den Amerikanern im zweiten Irak-Krieg, heutzutage aber vor allem bei Demonstrationen zum Einsatz kommt und durch die gerichtete Aussendung von Schallwellen einen starken Schmerzreiz bis hin zu mittelschweren Hörschäden verursacht. Fatima Al Qadiris zweites Album „Brute“ beginnt mit einem ebensolchen akustischen Beben und versinnbildlicht damit den Moment, in dem staatliche Gewalt auf den menschlichen Körper trifft.

Protest und Auflehnung sind das bestimmende Thema des Werkes. „You are no longer peacefully assembling“ ruft dazu die Stimme eines Polizisten aus dem Megaphon. Die düstere Klangkulisse, die Al Qadiri für ihre Protestmusik wählt, ist nicht neu, sondern in weiten Teilen an den Sound ihres Hyperdub-Labelkollegen Burial angelehnt. Traurige Synthesizer in Moll liefern sich melancholische Duette mit choralen Patterns. Immer wieder erschrecken Pistolen- oder Hubschraubergeräusche und stellen so den bereits angesprochenen Bezug zu aufständischen Konflikten und Polizeigewalt her.

Die Arrangements der aus Kuwait stammenden und in den Vereinigten Staaten lebenden Künstlerin sind zunächst schwer zu fassen – Al Qadiris Songs verhüllen sich in Gewändern, die es erst zu entwinden gilt, und sie dadurch unglaublich spannend und aufregend machen. Mal bieten vertrackte Rhythmen noch eine schemenhafte Orientierung („Breach“, „Battery“, „Blows“), mal weichen diese jedoch völlig und machen breit angelegten Konstruktionen epischen Ausmaßes Platz („Oubliette“, „Aftermath“, „Fragmentation“). Wenn die Werkzeuge, derer Al Qadiri sich bedient, schon nicht neu sind, so doch die Art und Weise, wie sie sie benutzt. „Brute“, das wortwörtlich ein wildes oder gewalttätiges Lebewesen beschreibt, ist ein extremes Album, deren Radikalität und letztlich Brutalität man sich nur schwer entziehen kann. Wie eine Schallkanone fordert es nicht nur Trommelfelle, sondern auch Hörgewohnheiten heraus.

Man kann die 34 Jahre junge, nur mit ihrem Laptop bewaffnete Al Qadiri als Musterbeispiel für eine digital vernetzte, aufbegehrende Generation in der Gegenwart sehen. Musikalisch ist „Brute“ jedoch nach vorne gewandt und steht für eine neue Zeit, die zunächst sehr dunkel erscheint. Dennoch, folgt man der Dramaturgie des Albums, so stehen die rohen, rhythmischen Drohgebärden am Anfang und werden mehr und mehr von sinfonieartigen Kompositionen verdrängt. Das vorletzte Stück „Fragmentation“ verspricht seinem Titel nach Auflösung, klingt jedoch so anmutig schön, dass vielleicht doch noch ein Schimmer Hoffnung am Horizont bestehen bleibt.

Jonatan Biskamp

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