Rezension

David Sylvian

Manafon


Highlights: The Rabbit Skinner // The Greatest Living Englishman // 125 Spheres // Emily Dickinson
Genre: Kunstmusik // Kammermusik // Electro-Jazz-Songwriter
Sounds Like: Ambrose Field // Rei Harakami // John Zorn // Kazumasa Hashimoto // Wildbirds & Peacedrums // The Gutter Twins // Fennesz // Ryuichi Sakamoto

VÖ: 14.09.2009

Wie klingt Stille? Völlige Ruhe? Selbst wenn keinerlei direkte Geräusche um uns herum sind, ist der Eindruck der Stille doch nur subjektiv. Selbst wenn die immer existierenden fernen Geräusche fehlen, wir abgeschottet sind, hören wir ab einem bestimmten Moment die Laute des eigenen Körpers.

Wenn Stille Musik wäre, klänge sie wie David Sylvians „Manafon“. In und um uns herum, über und zwischen allem anderen erklingt allein seine Stimme, sein leicht raues erzählendes Organ, sein rezitierender Gesang. Dazu hören wir unser Atmen, das Schlagen unseres Herzens, wie das Blut durch den Körper pumpt. Wir hören das Rauschen der Heizung, wie in einem entfernten Raum des Hauses eine Tür schlägt, den Wind, wie er durchs Treppenhaus pfeift. Es erklingt irgendwo entfernt ein Auto, ein Lachen auf der Straße. Nichts ist wirklich da, alles ist halb bewusst. Außer Sylvians Gesang. Ab und an mag eine Welle von Geräuschen zu uns heran schwappen. Eine Elster fliegt zeternd am Fenster vorbei, ein Auto hupt und braust mit durchdrehenden Rädern los, ein Tiefflieger durchbricht die Schallmauer. Ein Ehepaar geht streitend am offenen Fenster vorbei. Zwei Jugendliche pöbeln sich gegenseitig an. Vielleicht wegen eines Jungen, möglicherweise wegen eines Mädchens. Aber das passiert und ist wieder vorbei. Nur Sylvians Stimme begleitet uns.

Jene Geräusche des Umfelds und alles, was es noch sein könnte, das die Stille kurz erschüttert, all dies erklingt in der Instrumentierung der schlichten und doch expressiven Arrangements auf „Manafon“. Einzelne Saiteninstrumente, Bass, Gitarre, Cello, das Rauschen von Plattenspielern, Computerklänge, Klavier, Blasinstrumente, Saxophon, Trompete, reine Sinuswellen, Signalverarbeitungsprogramme. Darüber, dazwischen immer wieder Sylvians Stimme. Im Ergebnis so schlicht, einfacher kann Songwriting kaum sein. Dieses einfache Liedermachen trifft immer wieder auf Jazzhaftes, auf elektronische Experimente. Alles bleibt leicht. Alles ist intensiv. Klingende Stille. Die Musik der Lautlosigkeit, lautlose Musik.

Ruhe in der Musik. Pausen. Ein Stilmittel, das leicht, zu leicht, zu Langeweile führt. Vielen wird „Manafon“ genau so erscheinen: eintönig, fad, farblos. Ganz im Gegensatz belohnt aber den, der sich öffnet, der das Außen ausblenden und sich ganz auf David Sylvian und seine Mitstreiter einlassen kann, dieses Album mit seiner schillernden Vielfalt, mit einer erschöpfenden Intensität. „Manafon“ ist ein wunderbares Album, eine kaum erfassbare Spirale auditiver Erlebnisse.

Oliver Bothe

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