Konzertbericht

Algiers


Frühjahr und Herbst sind die Jahreszeiten, in denen nicht nur das Wetter stetig wechselt, sondern auch die Musiker sich in den Clubs die Klinke in die Hand geben. Gerade in den großen Konzertzentren Deutschlands (Berlin, Hamburg, Köln) heißt es: Bühne auf für den "Showember", an dem an jedem Tag des Monats ein Highlight das nächste jagt. Am 6. diesen Monats sind es Algiers, die das Lido beehren und dabei etwas ganz Besonderes mitgebracht haben: Hoffnung.

Den Support an diesem Abend geben die lokalen Hope. Wobei es an dieser Stelle schon komplett falsch ist, darauf zu verweisen, wo Hope residieren, denn das Quartett ist keine Buchung, die aus diesen Gründen die Show eröffnen darf, denn Hope bringen eine seltene Eigenschaft mit: Die, qualitativ hochwertige, niveauvolle Künstler zu sein. Da man die Konzerte, bei denen die Vorband wirklich was taugt, an einer Hand abzählen kann, sind solche Konstellationen natürlich großartig. Vor wenigen Wochen veröffentlichten sie ihr erstes Album, welches mal ruhigen, mal krachigen Düsterelektro mit Postpunk und Wave-Anleihen kombiniert. Mit der schweren Stimme von Sängerin Christine Börsch-Supan im Gepäck lassen sich Hope als deutsche Antwort auf Portishead bezeichnen, ohne damit eine von beiden schlecht zu reden. Ein Stück des selbstbetitelten Albums weist sogar eine deutliche Nähe zu Portisheads "Third" auf. Komplett gegenteilig ist jedoch die Bühnenpräsenz des Quartetts. Gerade Börsch-Supan legt einen Auftritt hin, der irgendwo zwischen Ballet, Ausdruckstanz und Ekstase liegt. Sie versprüht eine Lebendigkeit, mit der die gespielten Songs nur in den lärmenden Momenten mithalten können, was an dieser Stelle kein Urteil gegen die Musik ist.

Nachdem Hope die Messlatte dieses Abends schon recht hoch legten, lag es nun am Hauptact, nachzuziehen. Dabei sind Algiers, die um kurz nach neun die Bühne betreten, der komplette Gegenpol zu Hope und zeigen das sehr schnell. Ab der ersten Sekunde herrscht absolute, lärmende Eskalation. Sie starten mit der ersten Hälfte ihres zweiten Longplayers "The Underside Of Power", der an diesem Abend nahezu in Gänze dargebracht wird. Sänger Franklin James Fisher dreht schwitzend in einer Lederjacke Runden auf der Bühne, windet sich am Boden und nimmt während des Titeltracks ein Bad in der Menge. Einzig das Mikrophon will an diesem Abend nicht mitspielen, zigfach probiert Fisher das Gerät vor seiner Nase neu zu justieren. Als dann beim letzten Song ein Techniker mit Tape zur Tat schreiten will, ist es auch schon egal.

Rampensau der Band ist aber nicht etwa Leadsänger Fisher, sondern jemand anders: Ryan Mahan. Das Level, auf dem der Keyboarder und Bassist auf der Bühne eskaliert, wird vom gesamten Publikum zusammen nicht erreicht – was einerseits etwas über das Berliner Publikum an diesem Abend aussagt, die sich deutlich stärker zurücknehmen, als die Musik es eigentlich verlangt. Andererseits ist Mahan so von dem Spiel der Band besessen, dass es eine Freude ist, diesem Typen beim Ausrasten zuzusehen. Getoppt wird dies dabei nur noch von seinem Bassspiel. Üblicherweise sind Bassspieler für ein dumpfes Grollen im Hintergrund verantwortlich und werden nicht selten als Saitenintrumentler, die keine Gitarre spielen können, abgekanzelt. Mahan zeigt an diesem Abend, dass er virtuoser mit seinem Instrument umgehen kann als so mancher Zwölf-Saiten-Progressive-Rock-Gitarrist. Einen Gitarristen haben Algiers natürlich auch, dieser hält sich sehr dezent im Hintergrund, hat aber auch seine Momente, etwa wenn er beweist, dass man nicht automatisch wie Sigur Rós klingen muss, wenn man eine Gitarre mit einem Bogen spielt. Etwa 75 Minuten dauert die Ekstase auf der Bühne an, die nur von wenigen Spoken-Word-Einspielern vom Band unterbrochen wird, in denen Algiers Luft holen. Diese Zeit reicht auch völlig aus. Die Energie, die an diesem Abend transportiert wird, ist genug für viele Wochen.

Klaus Porst