Interview

Parcels


Gutgelaunte Surferboys aus Australien, die nach Berlin gezogen sind, um ihren Traum als Musiker zu leben – das sind Parcels. Im Interview sprechen Schlagzeuger Anatole und Bassist Noah über schlechte Erfahrungen mit der Polizei, die Vorzüge, die es hat, in Berlin zu leben, über das Reisen an sich und Vorurteile über deutsche Touristen, mit denen sie gar nicht so falsch liegen.

Nachdem Parcels das Appletree Garden Festival 2016 als erste Band eröffnet haben, treffe ich sie zum Interview. Schon von der Bühne aus haben sie eine entspannte Stimmung und gute Laune verbreitet – das ist auch während des Gesprächs nicht anders. Im Hintergrund hören wir uns das Von-Wegen-Lisbeth-Konzert an. Obwohl die beiden Bands befreundet sind, haben sie sich erst im Backstagebereich zufällig getroffen und sind überrascht, dass sie beide beim Appletree spielen. Generell sind Parcels gut in Berlin und in der dortigen Musikszene angekommen und mit vielen Musiker_innen befreundet. Man inspiriert sich gegenseitig und lädt zum Remixen ein. So gibt es unter anderem auch einen Remix von Kid Simius zum Song "Herefore". Kid Simius war es auch, der Anatole eine Mitfahrgelegenheit zur diesjährigen Fusion angeboten hat. Vergangenes Jahr haben Parcels noch selbst auf dem Festival gespielt – in diesem Jahr wollte Anatole nun als Besucher das volle Programm mitnehmen. Dass sie auf der Fusion spielen durften, das hat definitiv etwas mit dem Fakt zu tun, dass sie nun in Berlin leben. Wären sie noch in Australien, hätte das wahrscheinlich nicht geklappt. "Natürlich vermissen wir das Surfen und den Strand, aber hier ist man mittendrin im Leben, es ist einfacher, als Band Fuß zu fassen", so Noah.

Als Parcels sich als Band gegründet haben, war schon klar, dass sie sich ein Onewayticket kaufen werden, um nach Deutschland zu kommen. Aufgewachsen sind sie im kleinen Surferort Byron Bay. Dort kennen sich alle untereinander und es gibt nicht viel zu tun, außer zu surfen und Musik zu machen. Schon seit sie dreizehn sind, haben sie darum in verschiedenen Bands gespielt, auf der Straße zusammen gesungen. Als Parcels sehen sie sich nun eher als Kollektiv, in dem sie gemeinsam Entscheidungen treffen, als Einheit agieren. Das merkt man ihrer Musik an, überaus harmonisch und stimmig klingt es, wenn sie auf der Bühne stehen, alle fünf singen, ihre Melodien zusammen fließen lassen. Songideen kommen von allen Mitgliedern, Patrick und Jules sind dann meistens diejenigen, die sie zusammenfügen.


Foto-Credit: Lukas Haese

Während Parcels sich dafür entschieden haben, nach Deutschland zu kommen, gibt es umgekehrt jedes Jahr unheimlich viele Deutsche, die ihr Glück in Australien versuchen. Der Heimatort der Parcels, Byron Bay, ist an sich eine kleine Stadt, die aber immer wieder vor allem von deutschen Touristen überflutet wird. Teils sind die Bewohner genervt von den vielen Menschen, die dort hinkommen. Gleichzeitig sind sie aber auch froh darüber, denn es macht das Leben abwechslungsreicher. "Wenn ich jetzt in Berlin durch die Straßen gehe, dann hoffe ich, dass die Leute dort nicht so genervt von mir denken, was ich dort zu suchen hätte, wie es manchmal die Leute in Byron Bay tun. Wenn ich jetzt zurück nach Byron fahre, dann sehe ich die Touristen in einem anderen Licht", sagt Anatole. "Ja, außerdem ist es doch toll – jeder Mensch sollte das Recht haben, zu reisen und die Welt zu entdecken. Es ist unser aller Welt. Auch, wenn es natürlich nervig ist, zum Beispiel andere Australier in Berlin zu treffen. Du denkst, du seist der einzige in der Schlange zum Club und dann hörst du sie und denkst, fuck, was wollen diese Australier hier?". Noah muss selbst über sich lachen. So geht es vielen Deutschen ja auch, wenn sie weit weg reisen und dort Scharen von anderen Menschen aus Deutschland antreffen. "Ich habe mal diesen Spruch gehört, und nun kann ich ihn absolut nachvollziehen: Wenn du durch den Wald gehst und einen kleinen Pfad siehst, von dem du denkst, dass du dort ganz alleine sein wirst und ihn niemand seit Jahren gegangen ist – am Ende von diesem Pfad wirst du zwei Deutsche sitzen sehen, die gerade ihr Picknick genießen!" erzählt Anatole und Noah muss zustimmend lachen. "Ich mag diese Mentalität, ich liebe es auch, Orte zu entdecken!", sagt Anatole.

Von der von mir zuletzt interviewten Band, Somebody Loves You, kommt zum Schluss noch eine etwas abgedrehte Frage an Parcels: "Hat Satan einen Schnurrbart? Wenn ja, wie sieht er aus?" "Satan hat definitiv einen Schnurrbart! Er sieht sehr irre aus, dünn, und quirlig am Ende. Satan ist ein attraktiver Typ, sieht ganz normal aus – aber! Wenn du seinen Bart siehst, weißt du sofort, dass es Satan ist!", sind sich Noah und Anatole einig und amüsieren sich sehr über die Vorstellung. "Nun müssen wir uns noch eine Frage ausdenken, die hoffentlich genauso gut ist wie die, die uns gestellt wurde!", sagt Anatole. Nach einigem Hin und Her kommen sie auf eine Frage, die sie aus eigener schlechter Erfahrung stellen. "Du wurdest gerade verhaftet und musst die Nacht im Gefängnis verbringen. Warum? Und wie entkommst du?" Jetzt wird es spannend! Was ist Anatole passiert? "Wir haben einen Gig in München gespielt. Auf dem Rückweg, wir fünf waren zusammen im Van unterwegs, haben wir uns komplett verfahren. Als wir einen Blick auf die Karte geworfen haben, haben wir festgestellt, dass es genauso weit nach Berlin wie nach Prag ist. Also sind ein paar von uns ausgestiegen, mit dem Plan, nach Prag zu trampen. Nach einigen Tagen dort bin ich alleine in Wien gelandet. Jedenfalls habe ich versucht, wieder nach Berlin zu kommen. Weil ich ja eigentlich nur kurz nach München wollte, hatte ich keinen Pass dabei – und bin ohne Ausweis einfach mal durch drei verschiedene Länder gereist. Ich war unterwegs mit drei Syrern, die auch keine Papiere dabei hatten, als die Polizei uns angehalten hat. Sie haben uns alle mit Handschellen und nicht gerade zimperlich in einen Wagen gepackt und dann über Nacht in einer Zelle eingeschlossen. Mir wollte natürlich keiner glauben, dass ich Australier bin! Sie sagten: 'Anatole! Das ist doch kein australischer Name! Du sprichst doch bestimmt Arabisch!' Mein Name kommt tatsächlich aus Frankreich, weil meine Eltern dort herkommen. Jedenfalls habe ich versucht, mit unserem Manager in Kontakt zu treten und der musste dann die Polizei überzeugen, dass ich in einer Band spiele und Australier bin und hat mich dann mit den Papieren abgeholt. Wir sind alle ziemlich unorganisiert in der Band – aber jetzt sind wir paranoid und nehmen unsere Papiere immer mit, wenn wir wegfahren!"

Marlena Julia Dorniak

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Rezension zu "Parcels" (2018)

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