Festival-Nachbericht

Full Force 2019


Ende Juni, Gräfenhainichen, drückende Hitze. Genau das richtige Wetter also, um die schwarze Garderobe aus dem Schrank zu holen und sich zwischen riesigen Baggern ins Moshpitgetümmel eines Metalfestivals zu werfen. Ob und wie das Wochenende in Ferropolis überstanden wurde, lest ihr in unserem Nachbericht.

Ende Neu

Nicht nur für uns ist das Full Force 2019 eine Premiere: Auch der Veranstalter feiert in diesem Jahr seinen Einstand – mit der 26. Ausgabe des Festivals. Dabei belässt man es im Groben beim Altbewährten, lediglich die Vorsilbe "With" hat sich verabschiedet: nach Ferropolis ist man vor drei Jahren gezogen und auch in Sachen Line-up bekommen viele Künstler nicht den ersten Eintrag auf die Stempelkarte. Mit Parkway Drive angelte man sich sogar den letztjährigen Headliner erneut. Der musikalische Markenkern rund um Metalcore und Artverwandtes ist geblieben, darum jedoch kreisen klug gebuchte Satelliten, die ein breit interessiertes Publikum ansprechen. Neu ist das Bühnenkonzept, dazu später mehr.

Der Campingplatz ist der Headliner

Ein paar neue Dinge gab es vor allem auf dem Campingplatz. Hier möchte man mit "[Fair]opolis" und anderen Aktionen Zeichen setzen. Initiativen gegen Rechtsextremismus oder der Verein "The Ocean In Your Mind", welcher Menschen mit Depressionen unterstützen möchte, sind zugegen. Ansonsten sitzt trotz Debüt die Routine. Der Veranstalter kennt das Gelände vom Splash und Melt! und auch für das Full Force ist es ja keine neue Location. Lediglich der Bustransfer ist nach Aussagen einiger Besucher ausbaufähig. Darüber hinaus gab es Morgenaktivitäten wie (schwarzes) Yoga, ein Kneipenquiz und Ähnliches. Lobenswert ist auch die Aktion "Wo geht es hier nach Panama?" – unter dieser Losung finden Hilfesuchende oder sich bedroht, belästigt etc. fühlende Menschen unkompliziert Hilfe an Bars und sonstwo.

Und nun: Das Wetter

30-38 Grad. Kann man als Veranstalter nicht beeinflussen, wohl aber den Umgang damit. Auch hier ein Lob: Es stand großzügig Trinkwasser zur Verfügung und am letzten Tag wurden die ansonsten üblichen Regularien zur Getränkemitnahme aufgehoben und auch vor der Hauptbühne wurden die Besucher des Öfteren abgeduscht.

Das heutige Programm

Drei Bühnen sind es. Zelt, Strand, Hauptbühne. Die ersten beiden teilen sich je einen Zeitslot, auf der Hauptbühne darf nahezu jeder Act "ohne Konkurrenz" antreten, was als Gesamtkonzept dafür sorgt, dass man als Besucher am Ende des Festivals auf eine beachtliche Zahl gesehener Bands kommt. Einige der Auftritte wären dabei wohl an anderem Ort besser gewesen. Amenra überzeugen zwar am Strand, wirken aber angesichts des nebenan plantschenden Badepublikums etwas deplatziert, während Sondaschule wenige Minuten zuvor im Zelt spielen. Alcest und The Ocean hingegen finden am Strand mit ihren ausufernden Instrumentalpassagen ein sehr schönes Ambiente. Andere bekommen den Preis der Hitze zu spüren. At The Gates und Lamb Of God spielen vor erstaunlich wenig Leuten. Der Auftritt von Limp Bizkit wurde eher verhalten aufgenommen, ansonsten bot das Programm durchweg Highlights: Die breite Masse an Metalcore-Acts wie Any Given Day, While She Sleeps, Bury Tomorrow oder Beartooth findet eigentlich immer ein zahlreiches Publikum und überzeugt auch Nicht-Fans. Jinjer bringen das Zelt an seine Kapazitätsgrenzen und werden sicherlich beim nächsten Auftritt die große Bühne füllen. Behemoth spielen eine astreine Show, während Batushka am ersten Abend im Zelt mit ihrer orthodoxen Okkultshow Maßstäbe setzen. Im Gegensatz dazu bieten Knorkator am Samstag eine Menge Spaß auf die Hauptbühne und der Sonntag weiß mit einigen angesagten Hardcoreacts zumindest musikalisch zu überzeugen.

Feuer Frei

Großer Beliebtheit erfreut sich trotz des Wetters Pyrotechnik. Behemoth, Arch Enemy, Parkway Drive – sie alle lassen es ordentlich zündeln, mal mehr (Behemoth, Arch Enemy), mal weniger (das "Feuerwerk" von Parkway Drive dürfte einigen Leuten auf die Trommelfelle gegangen sein) sinnvoll.

Du und wieviel von deinen Freunden

Um die 16.000, mit noch deutlich Luft nach oben. Abgesehen vom Zelt wäre sicher noch für 1/3 mehr Leute Platz. Der Veranstalter äußert sich zufrieden, auch für den Besucher sind die kurzen Wartezeiten und der ausreichende Platz angenehm. Das Gefühl, quasi allein zu sein, stellt sich jedoch nicht ein – mit wenigen Ausnahmen versammeln sich immer genug Menschen vor den Auftretenden. Hier bietet sich dem Erstbesucher ein unerwartetes Bild. Ein wenig war die Sorge ja schon da: Ein Festival, mitten im Hauptwahlgebiet einer rückwärtsgewandten, rechtsradikalen Partei, das Faible dafür, in ländlichen Regionen Bands zu hören, in deren Beschreibung oft der Begriff "Grauzone" mitschwingt: Kurzum, man konnte erwarten, so einige Leute um sich zu haben, die man eher weniger gern um sich hat. Nach drei Tagen die Erkenntnis: Davon ist nichts zu spüren. Besagte Bandshirts sind nicht vorhanden, die Campingplatzmusik mag zwar die eine oder andere Geschmacksgrenze überschritten haben, ist ansonsten aber in Ordnung und auch übergroße Heckscheibenaufkleber sind nicht anzutreffen. Selbst die Security – das Problem hatte in der Vergangenheit selbst das Melt – macht den Eindruck, nicht aus den örtlichen Schlägertrupps zu bestehen. Stattdessen: Ein Publikum, das sich mehr darüber definiert, ob man nun eher Kutten oder tellergroße Ohrtunnel trägt. Einziges Manko: Der Sonntag. Die Buchung von einigen Bands aus dem selbst für Hardcoreverhältnisse harten Bereich und Harms Way sorgen für eine kleine, aber auffallend nervige Gruppe an Arschlöchern unter den Besuchern. Geht es am Wochenende sonst darum, in Mosh- oder Circlepits Spaß zu haben und gemeinsam zu feiern, sorgt hier eine Handvoll egoistischer Vollidioten mit dem Hang zum Ultimate Fighting für unnötigen Stress – und Verletzte.

Aber hier leben, nein danke

Dessau. Auf dem Tagesausflug in diese trotz Welterbe und Hochkultur sterbende Stadt gibt es sie dann: Die Grauzonenshirts im Stadtbild, das vollkommen selbstverständliche Tragen einschlägiger Klamottenmarken in der Öffentlichkeit, Menschen, die schon das Gesicht zur Faust geballt haben. Es sind nicht alle, aber es sind zu viele und es fehlen die sichtbaren Gegenteile. Mal abgesehen davon, dass es ein Armutszeugnis ist, 100 Jahre Bauhaus zu feiern, aber das dazugehörige Museum erst im September zu öffnen.

Das Bessere ist der Feind des Guten

Der genannte Bustransfer vom Campinggelände zum Veranstaltungsort. Die Lage des – noch zu kleinen – Greencamps, quasi mitten im Chaos des normalen Campings macht das so sicher wenig Sinn. Kulturangebote: Das Melt macht es vor; hier ergibt eine Zusammenarbeit die Möglichkeit, sich nahe Sehenswürdigkeiten mit Festivalbändchen anzusehen. Ansonsten ist es zwar immer eine Frage der Verfügbarkeit, aber im Jahre 2019 nur drei von über 60 Acts mit weiblichen Vocals zu haben, ist dann doch sehr wenig.

Klaus Porst

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